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Un Ballo

Un Ballo

Choreografien von Jiří Kylián, Benoît Favre, Filipe Portugal und Cayetano Soto

Disrupted

Un Ballo

Choreografien von Jiří Kylián, Benoît Favre, Filipe Portugal und Cayetano Soto

Behind the Mirror

Un Ballo

Choreografien von Jiří Kylián, Benoît Favre, Filipe Portugal und Cayetano Soto

Maraschino Cherries

Un Ballo

Choreografien von Jiří Kylián, Benoît Favre, Filipe Portugal und Cayetano Soto

Dauer 1 Std. 40 Min. inkl. Pause nach dem 1. Teil nach ca. 45 Min.

Gut zu wissen

Kurzgefasst

Un Ballo

Kurzgefasst

Un Ballo


Vier Tänzer erzählen


Passion, Eleganz und eine Kirsche

Wir haben vier Tänzer gebeten, uns die Choreografien des kontrastreichen Abends vorzustellen

Un Ballo
Jiří Kylián
Auf Jiří Kyliáns Choreografie Un Ballo freue ich mich sehr. Es wird das erste Mal sein, dass ich in einem Ballett von ihm tanze. Das Stück wirkt absolut zeitlos, und ich kann kaum glauben, dass es bereits vor über 25 Jahren entstanden ist. Kylián hat es 1991 für die Nachwuchsformation des Nederlands Dans Theaters (NDT II) kreiert. Mich beeindruckt vor allem die Eleganz und die Raffinesse, mit der Kylián hier zu Werke geht. Auf drei vom Charakter her völlig verschiedene Pas de deux folgt ein Teil für sechs Paare, die aber nur scheinbar das Gleiche machen. Jede Bewegung bei Kylián atmet eine unglaubliche Musikalität. Hier hat er zwei berühmte Kompositionen von Maurice Ravel verwendet, das Menuett aus Le Tombeau de Couperin und die Pavane pour une infante défunte. Obwohl beide Stücke am Anfang des 20. Jahrhunderts komponiert wurden, weisen sie doch in die Barockzeit zurück. Gerade in meinem Pas de deux muss ich oft an eine höfische Atmosphäre denken. Ein grosses Glück für uns Juniortänzer war, dass wir die Choreografie mit Kyliáns Assistenten Urtzi Aranburu einstudieren konnten. Er hat lange im Nederlands Dans Theater getanzt und kennt das Stück wie kein Zweiter. Urtzi hat mir die Tür zu Kylián geöffnet und uns Tänzer für die vielen kleinen Details sensibilisiert, die Un Ballo zu etwas Besonderem machen. Kylián hat sein Stück als «Übung für Musikalität und Sensibilität zwischen männlichen und weiblichen Partnern» bezeichnet. Um es tanzen zu können, kommt es vor allem auf Präzision, aber auch auf die richtige Mischung von Virtuosität und Überschwang an. Spektakulär finde ich auch das Ende, aber das darf ich hier ja noch nicht verraten.
Deia Cabalé, Frankreich

Disrupted
Benoît Favre
Mit den Proben zu Benoîts Stück haben wir bereits im September vorigen Jahres begonnen. Von Woche zu Woche hat sich die Choreografie weiterentwickelt, und ich bin jetzt sehr gespannt auf die Premiere. Der lange Probenprozess hat uns zusammengeschweisst. Meine Tänzerkollegen habe ich in dieser Zeit wirklich kennen- und schätzengelernt. Dass Benoît selbst noch Tänzer ist, war für uns ein grosser Vorteil. Seine choreografischen Vorstellungen kann er sehr genau beschreiben. Er kann alles vormachen und sieht sofort, wo und wie man etwas verbessern kann. Nicht nur mental, sondern auch physisch ist er Teil seiner Kreation. So reflektiert wie Benoît selbst ist auch das Stück. Auch bei meinem Solo merke ich, dass er es mehr nach innen als nach aussen gedacht hat. Bei einer Uraufführung dabei zu sein, ist für uns Tänzer immer spannend. Unsere Rolle besteht nicht nur darin, darauf zu warten, dass der Choreograf uns Schritte gibt, sondern auch eine für ihn angenehme Arbeitsatmosphäre zu schaffen, ihn zu inspirieren, indem wir mit ihm gemeinsam nach Umsetzungsmöglichkeiten für seine Ideen suchen. Benoît ist sehr offen für unsere Vorschläge. Ein wichtiger Bestandteil der Choreografie sind drei verschiebbare Metallrahmen. Sie schaffen ständig neue Räume und neue Beziehungen zwischen den Tänzern. Ich habe viel modernes Ballett getanzt. Deshalb hat es mir Spass gemacht, mir Benoîts Bewegungsrepertoire anzueignen. Er setzt sehr auf die Wirbelsäule, den Oberkörper. Die experimentelle Musik von Joel Gilardini hilft mir sehr dabei, meine eigene Geschichte in dieser Choreografie zu finden. Schliesslich geht es ja um mehr als nur um Schritte.
Giuditta Vitiello, Italien

Behind the Mirror
Filipe Portugal
Ich tanze in Filipe Portugals Pas de deux Behind the Mirror, den er zum zweiten Satz aus Schostakowitschs Erstem Klavierkonzert choreografiert. Es ist das erste Mal, dass ein Choreograf eigens für mich als Tänzer choreografiert. Das macht die Proben mit ihm zu einem grossen Erlebnis. Bereits nach der ersten Woche hatten wir das choreografische Grundmaterial erarbeitet. Wenn man fast täglich zwei Stunden an solch einem Stück arbeitet, geht es einem in Fleisch und Blut über. Was Filipe in seinem Pas de deux erzählen will, kann man sowohl aus einer rein tänzerischen als auch aus einer allgemein menschlichen Perspektive betrachten: Eine Tänzerin ist in einer Situation, in der sie aufgeben will. Sie will nicht mehr tanzen. Ihr Partner versucht, ihr das Selbstvertrauen zurückzugeben und sie wieder zum Tanzen zu ermutigen. Es geht um Partnerschaft, um Vertrauen und gegenseitige Inspiration. Es ist eine tolle Herausforderung, diesen Prozess im Lauf des Stücks sichtbar zu machen. Meine Tanzpartnerin Aurore Lissitzky beeindruckt mich immer wieder mit ihrer unglaublich schnellen Auffassungsgabe und der Art, wie sie Emotion sofort mit dem Schrittmaterial verbinden kann. Filipe geht beim Choreografieren sehr einfühlsam und individuell auf uns beide ein. Aus seinen Proben kommt man immer mit dem Gefühl, wieder ein Stück vorangekommen zu sein. Schostakowitschs ausdrucksstarke Musik eignet sich fantastisch für diese Geschichte. In Behind the Mirror ist alles drin, was man über das partnerschaftliche Verhältnis zweier Tänzer in einem Pas de deux lernen kann.
Cohen Aitchison-Dugas, Kanada

Maraschino Cherries
Cayetano Soto
Bevor ich diese Spielzeit zum Junior Ballett nach Zürich gekommen bin, habe ich bei Introdans getanzt – einer zeitgenössischen Compagnie, die im niederländischen Arnhem zu Hause ist. 2014 war ich dabei, als der katalanische Choreograf Cayetano Soto dort sein Stück Maraschino Cherries erarbeitet hat. Der Titel sagt schon ganz viel über dieses Ballett. Die eingelegten Kirschen, die man vor allem als Garnitur von Cocktails verwendet, sind bitter und süss zugleich. Und dass nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint, zeigt Cayetano auch in seinem Stück, in dem ganze viele überbordende Ideen, szenische Verrücktheiten und Bewegungsfantasien zusammen kommen. Cayetano Soto hat damals direkt auf die Qualitäten der ihm zur Verfügung stehenden Tänzer gesetzt. Er hat sie für seinen Stil adaptiert und in ein neues Licht gerückt, in dem sie noch besser zur Geltung kommen. Tempo und Witz sind sehr charakteristisch für dieses Stück, in dem die Jungs den Hauptpart haben. Mit viel Humor werden traditionelle Männerrollen aufs Korn genommen. Am Beispiel drei ganz unterschiedlicher Männerpaare entlarvt er diese Vorstellungen auf sehr witzige Weise als veraltete Klischees. An dem Stück gefallen mir vor allem seine positive Energie und der Reichtum an Kontrasten. Musikalisch spannt es einen weiten Bogen – von Beethovens Neunter Sinfonie bis zu einem Chanson von Charles Aznavour, der hier auf Spanisch singt. Mit Introdans haben wir Maraschino Cherries in vielen Ländern aufgeführt. Mal sehen, wie sie beim Publikum in der Schweiz ankommen! In Arnhem war die Compagnie insgesamt älter und hatte natürlich eine andere Energie. Deshalb bin ich sehr gespannt, wie sich das jetzt mit dem Junior Ballett anfühlen wird und ob wir Cayetano Sotos Ideen auch in der neuen Besetzung gerecht werden.
Ricardo Macedo, Portugal

Dieser Beitrag ist erschienen im MAG 47, März 2017.
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Fotogalerie

 

Szenenbilder «Un Ballo»


Michael Küster trifft Benoît Favre


Ich bin kein Kontrollfreak

Mit «Disrupted» kreierte Benoît Favre ein neues Stück für das Junior Ballett. Ein Porträt des vielseitigen Schweizer Tänzers und Choreografen

Wie bitte? Ob er als einziger Schweizer Tänzer im Ballett Zürich einen Heimvorteil habe? Die Frage bringt Benoît Favre zum Lachen. «In solch einer internationalen Compagnie ist es völlig unerheblich, wo du herkommst. Hier wirst du einzig und allein an deinen Leistungen gemessen», sagt er in seinem fast perfekten Deutsch, das man durchaus für seine Muttersprache halten könnte. Geboren ist er jedoch in der Westschweiz, in der Nähe von Neuchâtel. Dort hat alles angefangen.
«Ich tanze, so lange ich denken kann», erinnert er sich an seine Kinderzeit. Seine beiden Geschwister hatten mit dem Tanzen begonnen, und als Jüngster musste der kleine Benoît ihnen einfach nacheifern. So war es dann auch fast selbstverständlich, dass er mit 12 nach Zürich ging, um sich an der dortigen Tanz Akademie ausbilden zu lassen. Eine richtige Entscheidung, wie sich herausstellen sollte. Schon bald regnete es Preise bei wichtigen Tanzwettbewerben in Berlin, Solothurn und Lausanne. Um Bühnenerfahrung und Selbstvertrauen zu gewinnen, sei das die beste Schule gewesen. 2012 holt Christian Spuck den frisch gebackenen Akademieabsolventen ins Junior Ballett und nimmt ihn zwei Jahre später ins Ballett Zürich auf. Es mag eigenartig klingen, doch auf der Bühne scheint sich Benoît Favre in eine andere Person zu verwandeln. «Privat», so bekennt er, «bin ich ein eher scheuer und verschlossener Typ. Deshalb versuche ich, auf der Bühne eine andere Seite von mir zu zeigen und mich, so gut es geht, in die jeweilige Rolle zu versetzen. Egal, ob es sich um ein Handlungsballett oder eine abstrakte Choreografie handelt.» Schon früh begreift Benoît, dass Tanz und Choreografie für ihn zwei Seiten einer Medaille sind. Ganz genau erinnert er sich, wie ihn seine Lehrerin Arlette Kunz für das Improvisieren begeisterte und ihm eine DVD von William Forsythe mit unterschiedlichsten Improvisationstechniken in die Hand drückte. «Das hat damals eine neue Tür für mich geöffnet. Stundenlang habe ich das geschaut, nachgemacht und weiterentwickelt. Ich hatte immer Lust, meine eigenen Sachen zu kreieren.» Dabei ist das Finden der eigenen choreografischen Sprache ein langwieriger Prozess. Als Tänzer im Ballett Zürich ist Benoît Favre tagtäglich mit den unterschiedlichsten choreografischen Handschriften konfrontiert. Ist das nicht eher verwirrend, wenn man sich selbst als Choreograf finden will? «Ganz im Gegenteil», erwidert er. Eine wahre Ideenfundgrube sei das, und scherzend ergänzt er: «Wenn ich nur noch choreografieren würde, hätte ich Angst, mich zu wiederholen, weil ich keine neue Inspiration kriege.» Neben der Kanadierin Crystal Pite, die er vor Jahren bei einem Tanzfestival erlebte und deren Arbeiten er seitdem im Internet verfolgt, begeistern ihn vor allem die Stücke von Jiří Kylián: «Ich bin immer wieder fasziniert, wie er Erwartungen unterläuft. In seinen Choreografien kommt es immer anders, als man denkt. Das versuche ich in meinen Arbeiten auch.» Die eigene Signatur zu beschreiben, fällt ihm indes nicht leicht. «Das müssen doch andere machen», meint er bescheiden. Doch wer seine Arbeiten Shift, Identities oder Sandbox I im Rahmen der Reihe «Junge Choreografen» gesehen hat, erinnert sich an sehr geerdete Tänzer mit überaus wendigen Oberkörpern. «Ich verzichte auf überflüssige Bewegungen von Armen und Beinen», erklärt Benoît. «Immer mehr merke ich beim Choreografieren, dass alles vom Oberkörper ausgeht. Von dort kommt der Impuls, dem alles andere folgt. Ich stelle mir gern vor, dass alles, was auf der Bühne passiert, miteinander verbunden ist. Eine Ursache hat immer eine Wirkung.» Bei fast allen seinen Choreografien hat Benoît Favre mit Juniortänzern gearbeitet, und fast scheint das sogar ein Erfolgsrezept zu sein. Mit seinem Stück broken_line gewann er 2015 den ersten Choreografie Wettbewerb beim Tanzolymp Berlin. Auch jetzt geniesst er das Arbeiten mit den Juniors: das minutiöse Feilen an kleinen Details, das Organisieren der Bewegungsabläufe. Ruhig, unaufgeregt und mit gedämpfter Stimme gibt er den Tänzern seine Instruktionen und Korrekturen. «Ich bin kein Kontrollfreak, sondern lasse den Tänzern in den Proben viel Freiheit. Ich mag, wenn sie selbständig arbeiten, experimentieren und meine Ideen weiterentwickeln. Manchmal ist es zwar gar nicht so leicht, ihre unbändige Energie zu kanalisieren, doch letztendlich verbindet uns alle ein gemeinsames Ziel.» Und das heisst Disrupted. Für seine neueste Kreation mit dem Junior Ballett hat Benoît Favre auch das Bühnenbild entworfen. Drei Metallrahmen werden von den Tänzern in immer neue Positionen gebracht. Die sich unaufhörlich verändernde Raumstruktur hat choreografische Konsequenzen: Was macht man mit den Tänzern in dem neu entstehenden Raum? «Am Anfang war mir nicht klar, ob das funktionieren würde. Aber jetzt bin ich ganz optimistisch, weil diese unerwarteten Positionswechsel auch immer eine andere Stimmung mit sich bringen.» In dem experimentellen Schweizer Gitarristen Joel Gilardini hat Benoît Favre einen leidenschaftlichen Mitstreiter gefunden. «Musik muss Platz für die Choreografie lassen, sie sollte sich nicht in den Vordergrund schieben», erklärt Benoît Favre und gerät schnell ins Schwärmen: «Joel und ich sind in ständigem Kontakt. Da er seine Musik eigens für mein Stück komponiert, können wir im Detail und sehr individuell aufeinander reagieren. Ich schicke ihm Videos von den Proben, und er sieht sofort, an welchen Ecken es noch klemmt. Mir gewährt dieses Arbeiten enorme choreografische Freiheit. Ein paar Minuten fehlen uns zwar noch, aber bis zum Beginn der Bühnenproben in Winterthur sollten wir dann auf der Zielgeraden sein.» Disrupted. Unterbrochen... abgetrennt... Ist das auch ein Hinweis auf anstehende Veränderungen im Leben von Benoît Favre? Tatsächlich wird er die Schweiz zum Ende dieser Saison Richtung Skandinavien verlassen. «Ich bin jetzt seit über zehn Jahren in Zürich. Es wird Zeit für eine Veränderung, und ich habe Lust auf etwas Neues.» Ab September wird er im Finnischen Nationalballett in Helsinki tanzen. Noch halten sich Abschiedsschmerz und Lust auf den Neubeginn die Waage. «Der Norden reizt mich sehr. Ich mag die Strukturiertheit und die Mentalität der Menschen dort. Ich hatte ein gutes Gefühl, als ich für die Audition dort war. Hoffentlich werde ich dort viel tanzen können.» Und, so möchte man hinzufügen, Choreografieren mit Sicherheit auch!

Text von Michael Küster

Dieser Beitrag ist erschienen im MAG 47, März 2017.
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