Bruckner / Beethoven

1. Philharmonisches Konzert

25. Oktober 2020

Anton Bruckner
Sinfonie d-Moll WAB 100 «Nullte»

Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92

  • Dauer:
    ca. 2 Std. Inkl. Pause nach dem 1. Teil nach ca. 50 Min.

Dirigent:
Markus Poschner

Markus Poschner

Seit der Auszeichnung mit dem Deutschen Dirigentenpreis gastiert Markus Poschner bei den renommiertesten Orchestern und Opernhäusern, darunter das Deutsche Symphonieorchester Berlin, SWR Symphonieorchester, Orchestre Philharmonique de Radio France, die Staatskapelle Berlin, Sächsische Staatskapelle Dresden, Bamberger Symphoniker, Wiener Symphoniker und das NHK Tokio sowie das Opernhaus Zürich und die Staatsopern von Berlin, Wien, München und Hamburg. 2022 eröffnete er die Bayreuther Festspiele mit einer Neuproduktion von «Tristan und Isolde» und leitete diese auch 2023. Zur Spielzeit 2026/27 wird der gebürtige Münchner, der zudem leidenschaftlicher Jazz-Pianist ist, neuer Chefdirigent des traditionsreichen ORF Radio-Symphonieorchester Wien. Seit 2025/26 ist er Chefdirigent des Sinfonieorchesters Basel und übernimmt ab 2027/28 ausserdem die Position als Music Director des Utah Symphony Orchestra. Von 2015 bis 2025 war er Chefdirigent des Orchestra della Svizzera italiana, mit dem er 2018 den renommierten International Classical Music Award für die Gesamteinspielung der Brahms-Sinfonien sowie erneut 2025 für seine Hindemith- und Schnittke-Einspielung gewann. Seine Aufnahme von Offenbachs «Maître Péronilla» mit dem Orchestre National de France wurde mit dem Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik 2021 bedacht. Für die Gesamtaufnahme aller Bruckner-Sinfonien mit dem Bruckner Orchester Linz, dessen Chefdirigent Poschner seit 2017 ist, und dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien, erhielt er 2024 den Special Achievement Award der Jury der International Classical Music Award. 2020 erhielten Poschner und das Bruckner Orchester Linz den Österreichischen Musikpreis.

Arabella14 / 18 / 22 / 25 / 28 Apr. 2026

Besetzung

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Kurzgefasst

Im ersten Philharmonischen Konzert dieser Spielzeit gehört die Bühne einmal wieder ganz den Musikerinnen und Musikern unseres Orchesters. Nicht nur akustisch (wie zurzeit in unseren Opern­ und Ballettvorstellungen), sondern auch optisch und räumlich ist die Philharmonia Zürich an diesem Sonntagmorgen in grosser sinfonischer Besetzung präsent. Am Pult steht Markus Poschner, Chefdirigent des Brucknerorchesters Linz und ständiger Gast am Opernhaus Zürich, wo er in dieser Spielzeit auch Richard Strauss’ Capriccio dirigieren wird. Mit der sogenannten Nullten steht eine frühe Sinfonie in d-­Moll von Anton Bruckner auf dem Programm. Der Komponist selbst annul­lierte das Werk im Nachhinein als «ganz ungiltig (nur ein Versuch)». Dennoch trägt diese 1869 entstandene Sinfonie mit mächtigen Klang­ballungen, Bläserchorälen und feierlich­erhabenem Ton schon un­verkennbar Brucknersche Züge. Von Ludwig van Beethoven erklingt die von tänzerischen Rhythmen geprägte und vor Lebensfreude nur so sprühende, 1813 in Wien uraufgeführte Siebte Sinfonie A-Dur op. 92.
 

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Gut zu wissen

Tanz und Kampf

Die geniale Stelle

Vier Töne aus Ludwig van Beethovens 7. Sinfonie.

In der unrühmlich dahingeschwundenen DDR gab es einen Musikwissenschaftler, der die fixe Idee verfolgte, nahezu jeder melodischen Linie Beethovens liessen sich die Worte der Ode an die Freude unterlegen. In zahllosen Publikationen hat er sich mit diesem – allzu offensichtlich ideologisch bestimmten – Bild eines Lebenswerks, das geradlinig auf das Finale der 9. Sinfonie und die darin ausgedrückten Ideen zusteuert, zum Gespött seiner Fachkollegen gemacht. Der Fall wäre nicht mehr der Erwähnung wert, würde nicht eine grosse Wahrheit in der Narrheit liegen: Denn tatsächlich hat kaum ein anderer Komponist Zustände grösster, alle Grenzen sprengender Freude komponiert. Und keineswegs nur im Finale seiner letzten Sinfonie. Man hat die auffällige Neigung zur Gestaltung solcher Ausbrüche mit Beethovens cholerischem Charakter erklärt, denn der Choleriker kennt nicht nur heftige Zornausbrüche, sondern auch Zustände geradezu ekstatischer Freude, wie sie Beethoven erstaunlich oft gestaltet hat. So auch im Finale seiner siebten Sinfonie, die Richard Wagner als «Apotheose des Tanzes» bezeichnete. Das Hauptthema des Satzes ist eine übermütig wirbelnde Tanzmelodie, die von slawischer Volksmusik inspiriert ist und dem ganzen Satz ihren unwiderstehlichen Schwung verleiht. Aber seltsam: In der  zweiten Periode dieses Themas spielen die ersten Violinen eine nur vier Töne lange, 
chromatisch absteigende Linie, deren klagender Charakter in auffallendem Widerspruch zur Umgebung steht. Es ist nur eine kurze Eintrübung, die im allgemeinen Trubel fast untergeht. Aber ein Blick in die Stimmen der Holzbläser lässt aufmerken: Ihre Stimmen betonen nachdrücklich den Charakter der Klage, indem die Linie aus vier Tönen in zwei Gruppen zu je zwei absteigenden Sekundschritten zerlegt wird. Die absteigende Sekunde aber wird traditionell als Seufzer-Motiv, als Symbol der Trauer oder des Schmerzes verwendet. 
Wie Schiller wusste Beethoven um die Kraft der Freude, die Menschen zu verbinden, und entdeckte in den Momenten, wo sie das bewirkt, den Vorschein eines besseren Lebens, eines solidarischen Lebens in Freiheit: wo «alle Menschen Brüder» sind. Diesen Gedanken hat er immer wieder gestaltet (und insofern war der vorerwähnte Musikwissenschaftler auf der richtigen Fährte). Aber Beethoven war nicht der Maler gemütlicher Idyllen. Er wusste auch darum, dass dieses erträumte Glück gefährdet ist, erkämpft und verteidigt werden muss. Die kriegerischen Passagen dieses Satzes mit ihren heftig punktierten Rhythmen, die auf die Musik der französischen Revolution verweisen, stehen dafür ein. Das hat die junge Bettina von Arnim wohl verstanden, die an Goethe schrieb, beim Anhören dieser Musik habe sie sich vorgestellt, «den Völkern mit fliegender Fahne voranziehen zu müssen». Voranzuziehen, so würde Beethoven vielleicht fortgesetzt haben, in den Kampf für die Befreiung der Menschheit in Freude. In einer Freude freilich, die immer gefährdet ist, die immer verteidigt werden muss gegen die Feinde der Menschheit. So fallen der von Wagner apostrophierte Tanz und Bettinas Kriegsmarsch in eins. Der ekstatische Charakter des Finales ist mithin nicht einfach psychologisch aus Beethovens cholerischem Charakter  zu erklären. Dahinter – und hinter den Verdüsterungen, die immer wieder einbrechen und überwunden werden – steht vielmehr ein weitreichendes, die gesamte Menschheitsgeschichte umspannendes politisches Programm, dessen Essenz in gerade einmal vier Tönen übermittelt wird.

Text von Werner Hintze.
Dieser Artikel ist erschienen im MAG 78, Oktober 2020.
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