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La Fille du régiment

Opéra comique in zwei Akten von Gaetano Donizetti (1797-1848)
nach einem Libretto von Jules-Henri Vernoy de Saint-Georges und
Jean-François Alfred Bayard
Konzertante Aufführung

In französischer Sprache mit deutscher und englischer Übertitelung. Dauer 2 Std. 15 Min. inkl. Pause nach dem 1. Teil nach ca. 1 Std. 10 Min.

Gut zu wissen

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Fotogalerie «La Fille du régiment»


Drei Fragen an Andreas Homoki


Oper konzertant?

Intendant Andreas Homoki über eher ungewöhnliche Formate, lebendige Veranstaltungen und eine Opernaufführung, die wunderbar in die Vorweihnachtszeit passt.

In der Vorweihnachtszeit präsentiert das Opernhaus Zürich Gaetano Donizettis Belcanto-Oper La Fille du régiment dreimal in konzertanter Form. Konzertante Opernaufführungen sind für das Opernhaus Zürich ein eher ungewöhnliches Format. Welche programmatische Idee steckt hinter diesem neuen Angebot?
Keine, die über das jeweilige konkrete Projekt hinausgeht. Wir verstehen diese Aufführungsserie einfach nur als eine Bereicherung unseres Konzertangebots, denn eine Oper konzertant aufzuführen, gibt uns die Möglichkeit, ausgefallene Werke mit einer hoch attraktiven Besetzung ohne den ganz grossen szenischen Aufwand auf die Bühne zu bringen. Ich möchte allerdings betonen, dass konzertante Opern-Aufführungen bei uns keine Premiere ersetzen sollen. Wir zeigen ja bereits neun Premieren pro Spielzeit im Opernhaus  sowie eine weitere Premiere in Winterthur, mehr können wir nicht stemmen. Mit szenischen Opernaufführungen kann eine konzertant präsentierte Oper sowieso nie konkurrieren, und das soll sie an unserem Haus auch gar nicht.

Aber so ganz ohne jede szenische Einrichtung werden unsere Aufführungen von La Fille du régiment ja nicht über die Bühne gehen.
Die Auftritte sind bei dieser Aufführung selbstverständlich organisiert und die Dialoge gearbeitet. Die Solisten werden beim Singen nicht hinter Notenständern stehen, sondern ihre Rollen auch im konzertanten Rahmen überzeugend verkörpern. Anders als ein Konzerthaus können wir so etwas mit der Kompetenz eines Opernhauses ohne grossen Aufwand. Deshalb bin ich mir sicher, dass das eine äusserst lebendige Veranstaltung wird.

Es gibt konservative Musikliebhaber, die gerne konzertante Opernaufführungen besuchen, weil die Szene sie dann nicht vom «Genuss» der Musik ablenkt. Erweckt ein Opernhaus mit konzertanten Opern  nicht den Eindruck, die Werke seien auch ohne Regie attraktiv, womöglich sogar noch attraktiver?
Das ist doch völliger Unsinn. Opern werden immer erst dann zur Oper, wenn sie in einer szenischen Realisierung auf die Bühne kommen. So sind die Werke ja schliesslich auch komponiert. Nein. Ich betrachte dieses Projekt ganz unideologisch. Für die Rolle des Tonio konnten mit Javier Camarena einen der profiliertesten Sänger gewinnen, der leider krankheitsbedingt seine Mitwirkung kurzfristig absagen musste. Glücklicherweise konnten wir den amerikanischen Tenor René Barbera engagieren, der in dieser Saison u.a. auch an der Mailänder Scala, der Bayerischen Staatsoper, der Deutschen Oper Berlin, der Semperoper Dresden und der Opéra National de Paris zu Gast ist. Mit Sabine Devieilhe als Marie präsentieren wir zudem eine der zurzeit aufregendsten Sängerinnen Frankreichs, die hierzulande aber noch wenig bekannt ist. Auch in ihrem Falle ist die konzertante  Aufführung ein ideales Format, um dem Publikum einen neuen Stern am Opernhimmel vorstellen zu können, während man bei szenischen Produktionen für gewöhnlich sehr weit im Voraus planen muss und daher nicht mehr so flexibel bei den Besetzungen ist. Ich freue mich auch auf das Opernhausdebüt der italienischen Dirigentin Speranza Scappucci, die sich ebenfalls auf dem Sprung zu einer grossen Karriere befindet, auf Liliana Nikiteanu als Marquise de Berkenfield, auf Pietro Spagnoli als Sulpice und natürlich auf den Gast­Auftritt der Schweizer Komikerin Birgit Steinegger als Duchesse de Crakentorp. Wie gesagt, dieses Projekt soll nicht mehr sein, als es ist – eine zusätzliche attraktive Farbe in unserem Spielplan. Die Geschichte um eine junge Frau, die von einem Regiment adoptiert wurde und dessen Soldaten sich alle als ihre Väter verstehen, passt mit ihrem absurden Humor und ihrer Leichtigkeit wunderbar in die Vorweihnachtszeit.



Volker Hagedorn trifft...


Sabine Devieilhe

Ein lichtgrauer Novembervormittag in Paris, Rue Favart, Künstlereingang der Opéra comique. Im Vorgängergebäude, das 1887 abbrannte, wurde noch zu Donizettis Lebzeiten oft seine Fille du régiment gespielt, mit ihrer aberwitzigen Titelpartie, die auch heute nur wenige bewältigen. Eine dieser wenigen steigt jetzt aus einem Auto: Sabine Devieilhe, der Shooting Star der französischen Koloratursoprane, blond, zierlich, freundlich, 31 Jahre.

Der Wagen rollt davon; sie schlägt das Bistro gegenüber vor. Aber da wird noch saubergemacht. Ein paar Schritte runter auf der Rue St. Marc, in Richtung jener Salle du Bourse, in der die Regimentstochter anno 1840 uraufgeführt wurde, zur Rue Richelieu. Egal, wohin man sich wendet im 2. Arrondissement – überall ist Musikgeschichte drin.

Trotzdem ein schöner Zufall, dass Madame Devieilhe zielstrebig die Rue Richelieu Nr. 96 ansteuert, ein hohes altes Eckhaus mit einem Café. «Wissen Sie, dass Berlioz hier wohnte?», sage ich. «Nein», antwortet sie erstaunt, was kein Wunder ist – man hätte viel zu tun, wollte man an allen noch existierenden Adressen berühmter Pariser Musiker Plaketten anbringen. Hier würde es sich allerdings lohnen, immerhin komponierte Hector im Dachgeschoss seine Symphonie fantastique. «Sind Sie sicher?», sagt sie, «haben Sie mit ihm telefoniert?» «Ja, Boulez hat mir seine Nummer gegeben...» Sie lacht, und dann bestellen wir einen aussergewöhnlich schlechten Capuccino, der kalt wird, während sie erzählt, wie es ihr mit der Regimentstochter ergeht.

«Ich bin froh, dass sie für Paris geschrieben wurde. Marie singt französisch, das bringt sie mir ein bisschen näher! Aber man muss im Kopf behalten, dass es italienische Musik ist und auf der Linie gesungen werden muss.» Was heisst das? «Dass der Text sozusagen in der Melodie gehört werden kann, so dass man ihn auch versteht, wenn man die Sprache nicht kennt. Aber Marie spricht ja auch, und das ist für mich eine Herausforderung, obwohl es meine Muttersprache ist. Es ist immer schwierig, vor dem Singen zu sprechen!» Warum ist die Partie so gefürchtet? «Marie ist fast die ganze Zeit auf der Bühne, man muss lange die Spannung halten. Sie muss lustig sein, das ganze Regiment leiten und manchmal wie eine Trompete klingen, schon in der ersten Arie. Es ist eine Mischung aller Farben, die es für meinen Typ Stimme gibt. Mit genug hohen Tönen …»

Berlioz, der anno 1840 in der Uraufführung war, hielt nicht viel von dem Stück. «Das ist Musik, wenn man so will, aber keine neue Musik», spottete er. «Das Neue war», meint Sabine Devieilhe, «dass ein weiblicher Charakter hunderte von Männern anführte. Besonders die italienische romantische Musik wurde oft zu Libretti à l’eau de rose geschrieben, wie Rosenwasser, sehr süsslich, zu süss! Aber diese Geschichte hatte etwas Neues, dazu noch die hohe Stimme einer Sängerin, die auch Dialoge spricht.»

Die hohe Stimme machte sich bei Sabine Devieilhe sehr früh bemerkbar. «Schon als Baby», sagt sie und lacht. «Ich sang den ganzen Tag, und ich glaube, meine Eltern wussten von Anfang an, dass ich Koloratursopran bin. Sie schickten mich und meine drei Schwestern zur Musikschule. Es machte Spass, denn meine Eltern übten kein bisschen Druck aus. Sie haben einfach immer unterstützt, was ich tun wollte, das hat mein Selbstvertrauen enorm gestärkt. Ich spielte Cello, weil ich das liebte, dann kam ich auch in den Chor. Und für jeden war da sofort klar, dass ich ein sehr hoher Sopran war.»

Ifs heisst das Städtchen in der Normandie, wo ein flämischer Name wie Devieilhe (ausgesprochen wie «Dewielle») eher selten ist. Im nahen Caen ging Sabine dann aufs musische Gymnasium, «da spielte ich Cello im Orchester und im Quartett und sang im Chor, aber ich wusste immer noch nicht, in welche Richtung das gehen könnte.» Das erfuhr sie erst, als sie nach dem Abitur zum Musikstudium in die Bretagne zog, nach Rennes. «Der Chorleiter dort sagte, ich würde dir gern etwas Solistisches geben, aber dafür musst du Gesangsunterricht nehmen.» Der fand statt bei einer «typischen Diva», einer Opernsängerin, die den Schatz erkannte, der ihr da in den Schoss gefallen war. «Nach drei Jahren sagte sie, du musst nach Paris, ans Conservatoire!»

Sie gab ihrer Studentin einen Umschlag voller Empfehlungen und eine Liste all der Stücke mit, «die gut für mich waren», und nun wurde es ernst. «In Rennes hatte ich das Studentendasein genossen, Paris war der Beginn meines professionellen Lebens. Ich hatte ein winziges Zimmer an der Place de la République und nahm morgens immer ziemlich früh die Metro, um in einem Studio des Conservatoire zu arbeiten. Da gibt es eine gigantische Bibliothek mit allen Partituren, die man sich nur erträumen kann. Ich schaute da auch nach, in welchen Opern ich meine Stimme über dem Orchester behaupten könnte. Meine Erfahrung auf dem Cello half mir dabei. Es ist wichtig zu wissen, was hinter der Stimme noch passiert, wieviel Kraft ich in einer Note geben muss.»

Noch während sie studierte, hatte sie schon einen Vertrag als Lakmé für die Zeit danach: «Als französische Koloratursopranistin denkt man sowieso dauernd an diese Rolle!» Aber auf eine leichte Stimme, die es mühelos zum hohen C der Glöckchenarie in Lakmé, zum hohen F der Königin der Nacht schafft, muss man besonders gut aufpassen. «Ich habe bei Anfragen sicher öfter nein als ja gesagt.» Das tat die Sängerin auch, als vor fünf Jahren das Label Erato an sie herantrat. «Der erste Vorschlag von denen waren französische Opernarien, wie ich sie jetzt gerade aufgenommen habe. Aber da war das noch zu früh für mich.» Sie bestand auf Musik von Jean-Philippe Rameau. Zum einen hatte sie Arien des spätbarocken Operngenies bereits als Cellistin auf barockem Instrument begleitet und war vertraut mit der Aufführungspraxis. Zum andern hatte Alexis Kossenko, Flötist und Gründer des Barockensembles «Les Ambassadeurs», sie für Rameau begeistert. Mit ihm entstand «Le Grand Theatre de l’Amour» – eine Kompilation zum Süchtigwerden. Inzwischen lässt sie sich, auf der neuen CD «Mirages», auch als Debussys Mélisande hören, bleibt aber wachsam: «Wo der Orchestergraben grösser wird, muss ich vorsichtig sein. Ich kann Mélisande an einem kleinen Haus wie der Opéra comique machen, wo Pelléas ja uraufgeführt wurde. Aber ich kann das nicht mit acht Kontrabässen!»

Sie redet so bescheiden über sich, als wolle sie den Übermut tarnen, den man in ihrer Singstimme funkeln hört, und den Witz, den sie im wohl coolsten Hidden Track der Klassik bewies, auf «Mozart – The Weber Sisters». Was der zuerst in Aloysia verliebte, dann mit Constanze verheiratete Mozart für die drei Sopran-Schwestern schrieb (Josepha war seine  Königin der Nacht), macht Sabine Devieilhe zum  Biopic auf höchstem Niveau. Nachdem aber das Et incarnatus für Constanze verklungen ist, stimmen die Solistin und das Ensemble «Pygmalion» Mozarts Kanon Leck mich im Arsch an, um ihn, mit blitzenden Koloraturen, ins Finale der Jupitersinfonie zu morphen. Man muss gehört haben, mit welcher Raffinesse sie diese krasse Zote singt: In perfektem Deutsch, aber so geniessend gewitzt, wie es wohl nur eine Pariserin kann.

Eine solche ist sie inzwischen. «Zuerst wollte ich so bald wie möglich wieder weg, mir war hier zu viel Rummel.» Dann kam der Terror im November 2015. Sie empfand das als Angriff «auf uns, die Freiheit, die Kunst». Und sie war ergriffen von der Atmosphäre, die Tage später bei einem Auftritt in der neuen Philharmonie herrschte, mit Bach-Kantaten. «Das Konzert war magisch. Keiner hatte sich mit dem Entschluss leicht getan, zu kommen. Jeder wusste, warum er da war.» Vielleicht hat auch das ihr die Stadt ans Herz wachsen lassen. Inzwischen wohnt sie hier mit ihrer Familie und liebt das kulturelle Angebot, «obwohl ich dafür als Mutter nicht mehr ganz so frei bin. Mein Kind ist vorige Woche ein Jahr alt geworden. Paris hat sich nicht so verändert, aber ich!»

Text von Volker Hagedorn
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 54, November 2017
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