Kurzgefasst
«Wie weit soll unsere Trauer gehen, ohne uns zu entwurzeln?» Dieser Satz der Hauptfigur Paul könnte als Motto über Erich Wolfgang Korngolds Oper Die tote Stadt stehen. Denn darin geht es um einen jungen Mann, dessen über alles geliebte Frau Maria früh verstorben ist. Paul gibt sich ganz seinem Schmerz über diesen Verlust hin, bis eines Tages die Tänzerin Marietta auftaucht; sie sieht Marie zum Verwechseln ähnlich. Paul verfällt Marietta, die längst vergessene Sehnsüchte in ihm weckt, und steigert sich in eine regelrechte Obsession. Doch zugleich kämpft er mit dem Gefühl, seiner verstorbenen Frau untreu zu sein. Als Marietta mehr und mehr Raum in seinem Leben beansprucht und gegen die ständige Präsenz der Toten rebelliert, tötet Paul Marietta. Doch plötzlich steht sie wieder in seinem Zimmer, quicklebendig... War also alles nur ein Traum? Uraufgeführt 1920, ist Korngolds Tote Stadt unverkennbar beeinflusst von Sigmund Freuds Traumdeutung, die nur 20 Jahre zuvor erschienen war und erstmals beschreibt, wie verdrängte Sehnsüchte und unbewusste Ängste über Träume ins Bewusstsein gelangen können. Wie wichtig es ist, Vergangenes loszulassen, um sich der Zukunft stellen und überhaupt weiterleben zu können, das war natürlich auch ein zentrales Thema der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg; dass Korngold den Nerv jener Zeit traf, bewies der sensationelle Erfolg der Uraufführung, die zeitgleich in Köln und Hamburg stattfand. Mit dieser Produktion kehrt Dmitri Tcherniakov ans Opernhaus Zürich zurück, der die erste Spielzeit unter der Intendanz von Andreas Homoki eröffnete; nach Jenůfa 2012 inszenierte er in Zürich auch Pelléas et Mélisande und Die Sache Makropulos. Nun wird er sich mit der Feinnervigkeit und psychologischen Genauigkeit, die für seine Regiehandschrift charakteristisch sind, der Toten Stadt annehmen. Den farbigen Orchesterrausch, der in Korngolds Partitur steckt, wird der Schweizer Dirigent Lorenzo Viotti entfesseln, zurzeit Generalmusikdirektor an der Nationalen Oper in Amsterdam. In den anspruchsvollen, aber auch sängerisch sehr dankbaren Hauptrollen sind Vida Miknevičiũte und Eric Cutler zu erleben.