Herr Lange, wann haben Sie zum letzten Mal Schadenfreude empfunden?
Bei mir lösen sportliche Auseinandersetzungen Schadenfreude aus: Zum Beispiel als neulich der FC Bayern München, der erfolgreichste deutsche Fussballverein, im DFB-Pokal gegen einen drittklassigen Verein ausgeschieden ist. Oder wenn die deutsche Nationalmannschaft bei einer WM in einer Vorrunde ausscheidet, obwohl sie vorher angekündigt hatte, um den Titel zu spielen.
Mir kommen Gesellschaftsspiele wie das Leiterspiel in den Sinn, wenn einer am Schluss nochmals so richtig weit zurückfällt. Da empfinde ich ein geradezu wonniges Gefühl…
Das ist wahrscheinlich davon abhängig, welche Person genau zurückfällt und wie sie sich im Spiel zuvor gegeben hat. Man lacht nicht über alles und jeden. Aber wenn es den oder die «Richtige» trifft, dann schon.
Der Adressat der Schadenfreude muss also stimmen?
Es gibt generell zwei unterschiedliche Wege, wann Schadenfreude aufkommt. Der erste ist in der Tat, dass es den oder die Richtige trifft: das sind häufig Personen, die vorher sehr dominant aufgetreten sind, angeberisch waren, sich als unverletzbar dargestellt haben und dann scheitern. Wenn öffentlich über diese Person gelacht werden kann, verringert sich deren Ansehen automatisch. Sie wird dann nicht mehr als so gefährlich wahrgenommen, denn sie ist plötzlich verletzbar. Ein zweiter Weg ist, wenn Leute Rückschläge in ihrem Selbstbewusstsein erlitten haben, sich vielleicht gerade nicht so gut fühlen und dann über jemanden lachen können, dem es noch schlechter geht. Schadenfreude ist dann eine Aufwertung für das eigene Gefühl.
Sie forschen schon lange auf dem Gebiet der Schadenfreude. Was fasziniert Sie daran so?
Ich interessiere mich generell für Emotionen und dafür, wie Emotionen einem helfen, mit dem Leben zurechtzukommen. Jede Emotion hat eine Funktion. Manche Emotionen sind nur für einen selber, manche sind wichtig im Miteinander.
Ist Schadenfreude denn ein simples Gefühl? Das Wort selbst ist ja hochkomplex.
In der Forschung wird oft unterschieden zwischen Gefühlen, Emotionen und Stimmungen. Gefühle sind zum Beispiel elementar, in dem Sinne, ob es mir gut oder schlecht geht – das sind basale Einheiten, die Teil einer Emotion sind. Jede Emotion, wie eben die Schadenfreude, beinhaltet Gefühle: gute oder schlechte Gefühle, ob man erregt ist usw. Die Emotion umfasst neben Gefühlen auch unterschiedliche Gedanken, zum Beispiel, wie eine bestimmte Situation bewertet wird. Das kann dann auch zu direkten physiologischen Veränderungen führen, sei es, dass der Herzschlag hochgeht, sei es, dass man motiviert ist, etwas zu tun, oder dass man ein Lächeln zeigt. Das Gefühl ist also nur ein Aspekt einer Emotion. Eine Stimmung ist im Vergleich zur Emotion länger anhaltend und muss nicht notwendigerweise ein Objekt haben, auf das sie sich bezieht. Emotionen werden immer über etwas empfunden – wenn zum Beispiel jemand stolpert und ich darüber lache. Meine Emotion bezieht sich in diesem Fall auf das Stolpern. Wenn ich aber in schlechter Stimmung bin, weiss ich oft nicht genau, woher sie kommt. Wahrscheinlich ist diese Stimmung durch die Anhäufung vieler Emotionen entstanden, die vorher abgelaufen sind.
Stimmt es, dass die Schadenfreude dort im Gehirn verortbar ist, wo sich auch das Belohnungszentrum befindet?
Es gibt tatsächlich Befunde dafür, dass das Belohnungszentrum anspringt, wenn wir Schadenfreude empfinden. Aber das bedeutet nicht, dass Schadenfreude und das Belohnungssystem automatisch miteinander gleichzusetzen wären. Die Idee, dass man Emotionen im Gehirn verorten kann, ist im Grunde selbstverständlich, da alle möglichen Dinge, die man macht, übers Gehirn vermittelt werden. Komplexe Emotionen wie die Schadenfreude sind verteilt über ein riesiges Netz an Hirnarealen, die miteinander in Verbindung stehen, und da steht eben auch das Belohnungszentrum in Verbindung mit der Schadenfreude. Es passt ja ganz gut dazu, dass einem das Lachen hilft, mit einer negativen Situation zurecht zu kommen. Es könnte auch daran liegen, dass sich Schadenfreude einfach gut anfühlt.
Ist Schadenfreude eine Emotion, die universell ist?
Schwer zu sagen. Es gibt dazu keine kulturvergleichenden Studien. Aber ich denke schon, dass Schadenfreude ein über den ganzen Globus verbreitetes psychologisches Phänomen ist, auch wenn viele Sprachen dafür kein richtiges oder eigenes Wort haben: Das Englische, Französische oder Italienische benutzen das deutsche Wort «Schadenfreude» als Lehnwort. Situationen, die Schadenfreude auslösen, gibt es sicher weltweit. Aber es mag kulturell unterschiedlich sein, wie sehr es geboten ist, solche Emotionen auch auszudrücken. Ich könnte mir vorstellen, dass es besonders in asiatischen Ländern, in denen ein Ideal der Verbundenheit mit Anderen herrscht und man sich selbst als Teil einer grossen Gemeinschaft definiert, weniger vorkommt. Hier dürfte es seltener der Fall sein, dass man über andere Leute lacht, denn es gehört sich nicht.
Die Schadenfreude braucht ein Subjekt und ein Objekt: mich, vielleicht meine Gruppe und den anderen…
…und dieser Person ist irgendetwas passiert. In der Regel ist mir die andere Person plötzlich unterlegen, und ich kann eine Art Abwärtsvergleich anstellen. Es mag aber auch reichen, dass die Person von ihrem vorherigen Niveau fällt. Um nochmals auf das anfängliche Beispiel des FC Bayern zurückzukommen: Ich selbst kann ja trotzdem nicht so gut Fussball spielen wie die Spieler des FC Bayern. Die sind einfach nur von ihrem eigenen hohen Ross gefallen.
Ist es bei Ihrem Beispiel zwingend, dass Sie dabei Fan eines anderen Clubs sind?
Es fällt mir auf jeden Fall leichter, über den FC Bayern zu lachen, wenn ich nicht Mitglied bin. Ansonsten würde ich wohl eher Mitleid empfinden.
In unserer Oper Platée bricht Jupiters Göttergattin Juno am Schluss in schallendes Gelächter aus, als sie merkt, dass Jupiter sie mit der hässlichen Sumpfnymphe Platée betrogen hat. Sie erkennt, dass nicht ihr, sondern Platée ein übler Streich gespielt wurde.
Die Kurzbeschreibung Ihrer Oper fasziniert mich als Forscher zur Schadenfreude sehr. Hier wird ein plausibler Prozess beschrieben: Jemand wird zunächst eifersüchtig gemacht, und am Ende wird diese Eifersucht durch einen Schadenfreude-Moment aufgelöst. Es gibt Studien, die zum Schluss kommen, dass Eifersucht etwas ist, das durch eine Verletzung meiner persönlichen Wichtigkeit entstanden ist. Ich fühle mich dann zurückgesetzt, mein Selbstwert ist bedroht. Juno wurde durch Platée eifersüchtig gemacht, und das bedeutet eine Bedrohung ihres Selbstwerts. Wenn Juno schliesslich herausfindet, dass die andere Person gar keine richtige Rivalin ist, hilft die Schadenfreude, den Rückschlag wieder auszugleichen und sich besser zu fühlen.
Wir haben bisher vor allem über diejenigen gesprochen, die Schadenfreude empfinden. Wie sieht es jedoch mit den Geschädigten aus? Wie fühlt sich so jemand? Gibt es da Studien?
Meines Erachtens nicht.
Der Geschädigte hat ja den doppelten Schaden: Ihm ist etwas passiert, und gleichzeitig wird er von den anderen durch das Ver- und Auslachen ausgestossen.
Man kann sich in Bezug auf den Geschädigten zwei Reaktionen auf die Schadenfreude vorstellen. Nehmen wir an, ich bin eine sehr dominante Person. Mir passiert etwas, und die anderen nutzen den Moment aus, um mich kleinzulachen. Stehe ich mit denen immer noch im Wettbewerb, kann ich besonders wütend reagieren. Neben der Reaktion mit Wut könnte ich mir umgekehrt auch vorstellen, dass ich als Geschädigter versuchen würde, mich mit den anderen wieder freundlich zu stellen, sollte ich noch motiviert sein, mit diesen Leuten weiterhin etwas zu tun haben zu wollen. Schadenfreude ist ja auch ein Signal, dass man nicht so gemocht wird. Jetzt lachen die mich aus, jetzt bin ich aussen vor. Vielleicht wusste die Person das zuvor nicht.
Wie sehr ist Schadenfreude auf eine Öffentlichkeit angewiesen? Gibt es auch eine stille Schadenfreude?
Generell lässt sich sagen, dass man eher Emotionen ausdrückt, wenn andere Menschen anwesend sind. Höchstwahrscheinlich, weil das Signale an andere sind. Wenn man hingegen allein zuhause sitzt, muss man nichts signalisieren. Es gibt eine Studie, die Leute beim Bowling beobachtete. Es wäre zu erwarten gewesen, dass sich jemand sofort freut, wenn er einen Strike, also die maximale Punktzahl, geworfen hat. Aber es hat sich gezeigt, dass sich diese Person erst freut, wenn sie sich zu ihren Leuten umdreht. Das Gleiche kann man auch beim Filmeschauen beobachten, etwa bei einem Comedy-Film: In Gemeinschaft lacht man eher, als wenn man alleine ist. Das wird auch bei der Schadenfreude der Fall sein.
Der Emotionsausdruck der Schadenfreude ist das Lachen. Wie sieht dieses Lachen genau aus?
Versuche haben aufgezeigt, dass Probanden, denen man Videos von lachenden Menschen zeigt, ohne ihnen zu sagen, in welcher Situation es sich um Schadenfreude handelt und in welcher die Person einfach über einen Witz gelacht hat, erstaunlicherweise ganz gut sagen können, welches Lachen ein Schadenfreudenlachen ist. Es gibt hier wahrscheinlich minimale Hinweisreize. In Comics wird das Schadenfreudenlachen oft wie ein teuflisches Lachen dargestellt: Die Comic-Figuren haben eine Art Stirnrunzeln wie bei Wut, die Stirn zieht sich bösartig zusammen, die Augen ziehen sich nach innen und das alles wird kombiniert mit einem lachenden Mund. Versucht man, ein solches Lachen vor dem Spiegel zu imitieren, ist das gar nicht so einfach. Es sieht ziemlich komisch aus und entspricht wohl auch nicht ganz der Realität. Aber es ist etwas Ähnliches: Stellen Sie sich einmal vor den Spiegel, gucken Sie gerade aus und bewegen Sie das Kinn zur Brust. Schauen Sie dann leicht von oben auf Ihre Stirn, so als ob Sie die Stirn runzeln würden. Wenn Sie dazu noch lächeln, sieht das aus wie ein teuflisches, nach innen gerichtetes Lächeln. Ob das die Leute in der Praxis tatsächlich so machen, ist nicht so klar. Ich persönlich habe die Hypothese, dass man den Kopf zusätzlich noch etwas nach hinten und oben wirft und sich dadurch auch optisch über andere erhebt…
Schopenhauer nennt die Schadenfreude das «Gelächter der Hölle».
Auf Englisch gibt es den festen Ausdruck des «evil laughter». Wir alle haben ein sehr genaues Gespür, dass wir nicht über etwas lachen sollen, wenn es nicht so ganz angebracht ist. Wahrscheinlich widerspiegeln sich viele dieser Schadenfreude-Momente in einem leicht künstlichen Lachen. Man kann so tun, als ob man lachen würde, nur um dieses Signal zu senden, dass man etwas gut findet, obwohl man nicht aus vollem Herzen lacht.
Das Gespräch führte Kathrin Brunner.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 107, Dezember 2023.
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