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Roberto Devereux

Gaetano Donizetti (1797-1848)
Tragedia lirica in drei Akten
Libretto von Salvatore Cammarano

In italienischer Sprache mit deutscher und englischer Übertitelung. Dauer ca. 2 Std. 40 Min. inkl. Pause nach dem 1. Teil nach ca. 1 Std. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.
Die Einführungsmatinee findet am 22. Januar 2023 statt.

Gut zu wissen

Kurzgefasst

Roberto Devereux

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Roberto Devereux

Trailer «Roberto Devereux»

Pressestimmen

«Ein frenetisch gefeierter Abend ist ein weiterer Triumph für das Opernhaus.» 
SWR2, 07.02.2023      

«Einmal mehr hat das Opernhaus Zürich für die sängerische Besetzung eine glückliche Hand bewiesen.»
Deutschlandfunk, 06.02.2023

«Costello bietet eine umwerfende Mischung aus Beweglichkeit, Kontrolle, viriler Strahlkraft und farblich reizvoll abgestufter Emotionalität. »
Musik&Theater, 07.02.2023

«Anna Goryachova punktet bei der Premiere mit einer exquisiten Kombination von dunklem Stimmtimbre und problemloser Höhenbewältigung.»
Bachtrack, 06.02.2023

«Kalnas warm grundierter Powersopran verfügt über alle Farben für Elisabettas emotionale Achterbahnfahrt.»
FAZ, 07.02.2023  

Fotogalerie

 

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Was bisher geschah...

Zur Gedächtnisauffrischung eine kurze Zusammenfassung von «Anna Bolena» und «Maria Stuarda».


Zwischenspiel, 2. Februar 2023


Enrique Mazzola – Die Tudor-Trilogie ist mein «Ring»

Der italienische Dirigent Enrique Mazzola über die musikalischen Besonderheiten von Roberto Devereux, darüber, was Belcanto eigentlich bedeutet und wie sich Donizetti in seiner Oper bereits davon entfernt. Zum Podcast


Wie machen Sie das, Herr Bogatu?


Tanz mit Tonnengewichten

Im Bühnenbildmodell 1:50 von Gideon Davey sah sie noch niedlich aus und liess sich problemlos herumschieben – die halbkreisförmige Marmorrundwand für «Roberto Devereux». 20cm im Durchmesser, 14cm hoch, 6mm dick und 50g schwer. Der Regisseur David Alden sagte damals, dass diese Wand von der Bühnentechnik ins Bühnenbild und auch wieder seitlich hinausgeschoben wird und man die Technikerinnen und Techniker dabei durchaus sehen darf. Ich fand das genial – endlich einmal keine hochkomplexen Antriebe, sondern sichtbare Handarbeit.

Hätte ich gewusst, was ich meinem Team damit antue, hätte ich «nein» gesagt: Hinterher ist man immer schlauer. Aber der Reihe nach: An der Rundwand sollten 34 Porträts von Königin Elisabeth I. hängen, die im letzten Akt nacheinander herunterfallen. Im Modell waren diese ca. 3x4cm gross und fest auf die Wand geklebt. Die Bilder bekamen einen Abwurfmechanismus: Man kann solche «Auslösungen» kaufen, die elektrisch einen Haken öffnen und den Gegenstand daran fallen lassen. Davon kauften wir 34 Stück. Dazu bekam jede Auslösung einen Akku und eine Funksteuerung, so dass wir von der Seitenbühne her jedes beliebige Porträt auf Knopfdruck fallenlassen konnten.

So ein 3x4cm grosses Porträt im Massstab 1:50 ist aber in Wirklichkeit 1,5 Meter gross und fällt nicht aus 20cm, sondern aus 5 Meter Höhe und knallt – obwohl wir es aus einer leichten Schaumplatte hergestellt hatten – mit einem ordentlichen Krach auf den Boden. Nun sind 34 Bilder schon eine ganz schöne Masse. Die Wand jedoch, an der sie hängen, war im Original 6 Meter hoch und hatte einen Durchmesser von 10 Metern. Leider verhielt sich ihre Masse nicht im Massstab 1:50, sondern erstaunlicherweise im Massstab 1:50.000 und wog zusammen mit den Bildern 2,5 Tonnen. Unsere Bühnentechnikerinnen und -techniker sind es grundsätzlich gewohnt, solche Gewichte beim Auf- und Abbau von Dekorationen zu verschieben, doch der Regisseur hatte sich eine Choreografie der Wand ausgedacht, bei der sie auf die Bühne gefahren wird, sich um die eigene Achse dreht, dann mal wieder von links nach rechts geschoben wird und wie ein Spielvorhang szenische Auf- und Abbauten verdeckt. Und er hatte das auf der Probebühne drei Wochen lang mit einer leichten, niedrigen Probewand geprobt. Die tollen szenischen Vorgänge waren also fertig einstudiert, als es auf die Bühne im Opernhaus ging. Unsere Mitarbeitenden müssen deshalb nun alles geben, um die Wand zu bewegen: Jeweils 8 bis 10 Personen ziehen und stossen sie über die Bühne, bringen sie auf die gewünschten Positionen – und sind berechtigterweise nicht erfreut über das Gewicht und die zentimetergenaue Choreografie. Vor allem waren die Proben hart, bei denen die Fahrten wiederholt und am Timing gefeilt wurde. Ich ärgere mich immer noch darüber, dass ich während der Proben auf der Probebühne die vielen und schwierigen Fahrten nicht verhindert habe, denn als das Bühnenbild auf die Bühne kam, war es zu spät, die Choreografie noch zu ändern: Es gab keine Proben mehr, um Neues auszuprobieren. Mir blieb nichts anderes übrig, als zusätzliche Aushilfen für die Fahrten zu organisieren, um unsere Technikerinnen und Techniker etwas zu entlasten. Positiv allerdings ist, dass die Fahrten einen grossen Effekt in den Vorstellungen erzielen.

Das mit den Auslösungen funktionierte übrigens ganz gut, doch nach einigen Proben mit runterkrachenden Bildern entschieden sich Regisseur und Bühnenbildner, die Porträts nicht mehr fallen zu lassen, sondern sie in der Pause gegen verblasste auszutauschen, die das Publikum erst mit der Schlussdrehung der Wand zu Gesicht bekommt. Die Wirkung ist wesentlich besser als die der fallenden Bilder. Hinterher ist man immer schlauer.

Sebastian Bogatu ist Technischer Direktor am Opernhaus Zürich.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 99, Februar 2023.
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Hintergrund


Mythos Elizabeth I.

Nach ihr wurde ein ganzes Zeitalter genannt: Königin Elizabeth I. (1533-1603) gehört zu den faszinierendsten historischen Herrscherfiguren. Ein knappes halbes Jahrhundert lang war sie an der Macht, obwohl ihr der Herrschaftsanspruch als Frau und «Bastard» ständig streitig gemacht wurde. Sie galt als hochintelligente Politikerin und sorgte für Stabilität im Land. Die Monarchin heiratete nie, blieb kinderlos und ging deswegen als «The Virgin Queen» in die Geschichte ein. Ein Blick zurück von Eva-Maria Schnurr

Die Bilder sollen sich in die Netzhaut brennen. Betörend sollen sie sein, überwältigend und unmissverständlich. Sie müssen die Grösse demonstrieren der Frau, die sich anschickt, als Elizabeth I. den Thron Englands zu besteigen. Am Tag vor ihrer Krönung lässt sie sich deshalb durch die Strassen von London tragen, in einer goldverbrämten Sänfte durch eine begeisterte Menschenmenge vom Tower zur Westminster Abbey. Auf ihrem Weg zeigen Schauspieler in kurzen Szenen Elizabeths Regierungsprogramm: Die Tugenden «Weisheit», «Gerechtigkeit», «Liebe zu den Untertanen» und «Wahre Religion» trampeln Laster wie Aberglauben und Dummheit nieder. Triumphal wird die junge Königin als die biblische Prophetin Debora dargestellt, die das Volk Israel aus der Unterdrückung durch den König von Kanaan befreite – Elizabeth, das ist die Botschaft, wird England endgültig aus der Knechtschaft des Papstes führen.
Noch wenige Jahre zuvor hätte kaum jemand der zweitältesten Tochter Heinrichs VIII. Chancen auf den Thron eingeräumt. Ihr Vater liess sie von der Thronfolge ausschliessen, nachdem ihre Mutter Anne Boleyn 1536 hingerichtet worden war. Obwohl er sie als Zehnjährige rehabilitierte, galt sie vielen noch immer als illegitimer Bastard. Noch aussichtsloser wurde ihre Situation unter der Regentschaft ihrer Halbschwester Maria Tudor: Die kerkerte sie in den Tower ein, weil sie sich nicht zum Katholizismus bekehrte, den Maria in England wieder eingeführt hatte. Erst auf dem Sterbebett stimmte die kinderlose «Bloody Mary» Elizabeth als Nachfolgerin zu.

Ihr Leben, ihr Einfluss, ihre Kämpfe

Nun, am Tag vor ihrer Krönung, muss sie ihre Untertanen überzeugen, dass ihre Herrschaft ein Erfolg werden wird. «Ich werde nicht zögern, mein Blut zu vergiessen, um für Eure Sicherheit und Ruhe zu garantieren», verspricht Elizabeth, während ihre Stimme fast untergeht im Jubel der Menschen. «Man kann die City of London zu dieser Zeit nicht besser beschreiben denn als Bühne, auf der das wundervolle Schauspiel einer grossherzigen Prinzessin gegeben wurde, die sich ihrem höchst liebenden Volk zeigt, und die ausserordentliche Freude des Volks, solch einen löblichen Souverän zu haben», heisst es in einem Flugblatt, das neun Tage später veröffentlicht wird und sich rasch verbreitet. Der Auftraggeber ist womöglich die Königin selbst.
Öffentliche Selbstdarstellung gehört zu den Kernkompetenzen eines Herrschers schon in der frühen Neuzeit. Zwar glauben alle, dass Gott bei der Wahl eines Monarchen seinen Willen walten lässt, doch er muss sich vor den Untertanen auch bewähren; Königsherrschaft ist keine Diktatur, sondern auf Konsens zwischen Herrscher und Beherrschten ausgerichtet; für Gesetze braucht der englische König das Parlament.
Elizabeth, gekrönt mit 25 Jahren am 15. Januar 1559, perfektioniert die royale PR. Die 45 Jahre ihrer Herrschaft galten auch unter Historikern lange als das «Goldene Zeitalter» der englischen Geschichte. Erst in jüngerer Zeit richtet sich der Blick stärker auf Elizabeths Strategien der Macht und der Inszenierung – und auf die Schattenseiten ihrer Regierung. An Faszination verliert die Königin dabei nicht, im Gegenteil: Erst durch den Mythos hindurch zeigt sich die wahre Staatskunst Elizabeths.
Vor ihrer ersten grossen Aufgabe steht sie, seit sie lebt: Sie muss beweisen, dass sie eine rechtmässige Königin ist – weil sie eine Frau ist. Zwar gilt in England nicht wie auf dem Kontinent das salische Recht, das Frauen von der Erbfolge ausschliesst. Doch eine Thronerbin ist nicht erwünscht – Heinrich VIII. tat alles, um endlich einen Sohn zu bekommen. Frauen gelten als das schwache Geschlecht, sie sollen sich dem Mann unterordnen und nicht regieren. Weiberherrschaft verstösst gegen das Naturrecht und damit gegen die göttliche Ordnung, so sehen es die meisten.
Elizabeths ältere Halbschwester Maria kam 1553 an die Macht, nachdem Eduard VI., der einzige legitime Sohn Heinrichs VIII., gestorben war. Sie heiratete den Konventionen gemäss rasch – allerdings den spanischen Thronfolger Philipp und damit in den Augen vieler den Falschen: einen katholischen Fremden, der das Land in einen nutzlosen Krieg mit Frankreich verwickelte. Die Verbindung mit dem Spanier und ihr Versuch, ihre Untertanen gewaltsam zum Katholizismus zurückzuzwingen, machten Maria Tudor extrem unbeliebt. Das ist ein Startvorteil für ihre Nachfolgerin und ein Auftrag. Protestantische Theologen wie der Genfer Reformator Johannes Calvin (1509 bis 1564) entschuldigen Elizabeths Regierung als einen von Gott herbeigeführten Sonderfall: Ihre Herrschaft diene dazu, das protestantische Bekenntnis wieder einzuführen.
Elizabeth selbst zweifelt offenbar nicht an ihrer Regierungstauglichkeit. Seit sie der Vater rehabilitiert hat, ist er ihr grosses Vorbild. Durch ihre hervorragende Ausbildung – sie spricht Französisch, Italienisch und Spanisch fliessend und hat die Schriften wichtiger lateinischer und griechischer Autoren und Philosophen im Original gelesen – und durch ihre strategische Klugheit kann sie ihren Beratern und Höflingen locker das Wasser reichen. Ihre ersten Massnahmen erfüllen die Hoffnungen, die viele in sie gesetzt haben: Sie erneuert 1559 den Act of Supremacy, mit dem sich ihr Vater vom Parlament als Oberhaupt der Kirche von England einsetzen liess. Nun steht sie und nicht mehr der Papst an der Spitze der Kirche. Das «Book of Common Prayer», die protestantische Gottesdienstordnung ihres Halbbruders Eduard VI., setzt sie erneut in Kraft, nun ist das Land wieder losgelöst von Rom.
Elizabeth selbst hält ihr Innerstes verschlossen. Bis heute rätseln Historiker, was denn nun ihre persönliche Glaubensüberzeugung war. Das ist vermutlich so gewollt: Unklarheit ist ein wichtiges Mittel von Elizabeths Politik – und ein Machtinstrument. Sie verschleiert ihre Absichten, wechselt ihre Meinungen scheinbar willkürlich, um nicht durchschaubar und nicht manipulierbar zu sein. «Es gab in ihrer Zeit kaum jemanden, der ihr in den Künsten der Täuschung, Ausflucht und des Lügens gewachsen war», urteilt der Literaturwissenschaftler Jürgen Klein.

Heirat? Vielleicht schon, aber lieber nicht

Zwar ist ihre Regierung auf gemeinsame Beschlussfindung mit ihren Beratern ausgelegt. Aber die Königin behält durch ihr «Dissimulieren», wie es im Jargon der Zeit heisst, die Entscheidungshoheit: «So liess sie die Hof- und Ratsfraktionen sich immer wieder gegenseitig ausspielen, um auf diese Weise zu dokumentieren, dass sie es war, die das letzte Wort hatte», beschrieb es der 2015 verstorbene Historiker Günther Lottes. Ihre Berater, allen voran die Männer in ihrem «Privy Council», dem geheimen Staatsrat, treibt sie damit immer wieder schier in den Wahnsinn. Ihr engster Mitarbeiter, der Erste Sekretär William Cecil, leidet besonders, weil sich Elizabeth in Heiratsdingen nicht festlegt. Er ist überzeugt, dass ein Gatte an ihre Seite gehört, möglichst schnell. Auch, damit die Thronfolge geklärt ist.
Die Königin aber laviert. Schon im ersten Jahr ihrer Regentschaft erklärt sie dem Parlament, dass sie eine Heirat zwar nicht ausschliesse, aber lieber als Jungfrau leben und sterben wolle. Hat sie wegen eines Missbrauchs in ihrer Jugend eine Abneigung gegen Männer, wie manche Forscher vermuten? Oder ist sie so verliebt in ihren Jugendfreund und Höfling Robert Dudley, der durch den mysteriösen Tod seiner Ehefrau diskreditiert ist, dass sie keinen anderen will? Vermutlich ist die Ehelosigkeit auch ein Mittel der Machtsicherung, denn einem Mann müsste selbst eine Königin sich ein Stück weit unterordnen.
Eine unverheiratete Frau ist dem Volk jedoch suspekt, zumal eine Königin ohne Erben. Gerüchte über Affären, uneheliche Kinder, mit Dudley und anderen, gehen um, das Parlament bedrängt die Königin, sich endlich zu entscheiden. 1566 verbittet sich die Königin, vom Parlament noch länger mit der Heiratsfrage belästigt zu werden. Sie nutzt mögliche Eheallianzen auch als Mittel der Aussenpolitik. Dabei agiert sie bemerkenswert realpolitisch und nicht nach konfessionellen Gesichtspunkten. Zu Beginn ihrer Regierung steht England im Krieg mit Frankreich. Elizabeth setzt deshalb auf ein gutes Verhältnis zu Spanien und verhandelt mit dessen Regenten Philipp II. und dessen Haus Habsburg über eine Ehe. Im Gegenzug bewirkt der Spanier, dass der Papst die Königin nicht wegen ihres Abfalls von der römischen Kirche exkommuniziert. Doch seit 1568 verschlechtern sich die Beziehungen, weil Spanien Truppen in die um Unabhängigkeit kämpfenden protestantischen Niederlande entsendet. Nun avanciert Frankreich zum wichtigeren Partner und Männer aus der Königsfamilie der Valois zu potenziellen Heiratskandidaten. Das hat Folgen, denn mit dem Bruch der spanischen Allianz endet auch die Schonzeit beim Papst.
Elizabeths Thron ist in Gefahr. Maria Stuart, Königin von Schottland, ist wegen protestantischer Aufstände nach England geflohen. Für die Katholiken dort und in ganz Europa ist sie die rechtmässige Anwärterin auch auf den englischen Thron – auch sie selbst sieht sich dort. Und nun öffnet die Bulle des Papstes die Schleusen für den katholischen Widerstand. In mehreren Verschwörungen planen spanische Diplomaten und katholische englische Adlige in den Jahren bis 1586 den Staatsstreich oder gar die Ermordung der Königin zugunsten Marias. Sie werden entdeckt, denn der Höfling Francis Walsingham hat für Elizabeth einen hervorragend vernetzten Geheimdienst aufgebaut, zahlreiche Agenten informieren ihn über die Umtriebe. Er ist auch einer derjenigen, die Elizabeth 1586 schliesslich überzeugen, dass nur eine Hinrichtung der Konkurrentin Maria Stuart ihre Herrschaft langfristig sichert.
Gefahr droht allerdings auch aus den eigenen Reihen. Etlichen protestantischen Theologen gehen Elizabeths Kirchenreformen nicht weit genug. Auch sie stellen die Legitimität der Königin infrage. Nun beendet sie schrittweise ihre Toleranzpolitik. Wer den anglikanischen Gottesdienst nicht besucht, wird mit hohen Geldstrafen belegt. Und auch das Gerede im Volk versucht die Königin mit rigiden Methoden zu stoppen. Dem Flugschriftenautor John Stubbes, der in einem Pamphlet gegen die Ehepläne mit dem französischen Herzog von Anjou wettert, lässt sie ebenso wie seinem Verleger auf dem Marktplatz von Westminster die rechte Hand abschlagen.
Ihre Anhänger belohnt die Königin dagegen mit ihrer Gunst und Gnade – und mit Nähe. Jedes Jahr im Sommer reist sie für zwei Monate auf dem Pferd oder in einer offenen Sänfte durch den Südosten Englands, hört sich die Sorgen und Nöte der einfachen Leute an, nimmt Geschenke entgegen, plaudert, scherzt, schmeichelt den Menschen. Wer die Regentin nicht persönlich erleben kann, erfährt durch eigens beauftragte Flugschriften von ihren Reisen. Auf Konventionen gibt Elizabeth nicht viel, doch Rituale und Zeremoniell setzt sie gekonnt ein, um sich selbst zu überhöhen, zu demonstrieren, dass sie über den normalen Menschen steht und dass ihr Hof das Zentrum der Macht ist.

Der lange Weg ins Zentrum der Macht

Rund 2500 Menschen gehören zum Hofstaat, viele von ihnen ziehen mit der Monarchin von Schloss zu Schloss, von Greenwich nach Whitehall, wo der Hof  Weihnachten feiert, nach Richmond, Hampton Court und Windsor. Die Höflinge sind die politisch aktive Klasse aus den Adelsgruppen der Peers, Gentry und Knights, sie dürfen sich ständig in der Nähe der Königin aufhalten, unter ihnen wählt sie ihre Favoriten, denen sie besondere Vergünstigungen erweist. Aussenstehenden dagegen verdeutlicht ein langer Weg durch eine Flucht von Zimmern, dass sie nun ins Innere der Macht vordringen.
Nur wenige führt der Lord Chamberlain in die «Privy Chamber», die Gemächer der Königin, das Herz des Hofes und des Staates. Hier empfängt die Königin den Diplomaten, der über ihre tief dekolletierte Robe staunt, kunstvoll gefertigt aus Samt und Seide, mit Gold- und Silberfäden durchwirkt, bestickt mit Perlen und Rubinen. «Ihre Brust ist etwas faltig, aber weiter unten ist ihr Fleisch ausgesprochen weiss und zart, soweit man sehen kann», schwärmt er respektlos.
Auf den meisten Porträts der Königin ist von solchen Altersspuren allerdings wenig zu sehen. Elizabeth wünscht ihre Abbilder fast übermenschlich glamourös und alterslos: Makellos ist ihr Teint darauf, obwohl sie mit 29 Jahren eine Pockenerkrankung nur knapp überlebt hat und sicher gezeichnet bleibt, sie wirkt mädchenhaft mit ihren langen hellroten Haaren und den schmalen, langgliedrigen Fingern. «Ich habe zwar den Leib eines schwachen kraftlosen Weibes, dafür aber Herz und Mut eines Königs». Es sind Bilder der «Virgin Queen», der jungfräulichen Herrscherin, wie sie seit den späten 1580er-Jahren von ihren Untertanen immer stärker verehrt wird. Nun ist sie über 50 Jahre alt, und es ist klar, dass sie wohl nicht mehr heiraten und keine Kinder mehr haben wird. Sie ist jetzt mit ihrem Land verheiratet, so stellt sie es dar.
Die Königin und England geben ein strahlendes Paar ab, das die Weltmeere erobert. Sir Francis Drake kehrt 1580 von seiner Weltumsegelung zurück, Sir Walter Raleigh wagt 1578 eine Expedition nach Amerika und finanziert auf Roanoke Island die erste Kolonie, «Virginia». Der Triumph schlechthin aber ist der Sieg der englischen Marine über die spanische Armada im Jahr 1588. Auch wenn Glück im Spiel ist, weil ein günstiger Wind die spanischen Schiffe auseinandertreibt: Die Royal Navy hat eine spanische Invasion auf der Insel vereitelt. Elizabeths Prestige steigt ins Unermessliche.
Ihr Sieg, so erklärt sie es ihrem Volk, ist Teil des göttlichen Heilsplans, so wie ihre ganze Herrschaft. Die Botschaft ist deutlich: Ein Goldenes Zeitalter ist angebrochen, mit ihr an der Spitze. 1590 huldigt ihr der Dichter Edmund Spenser in einem Gedicht als «Fairy Queen», als märchenhafte Feenkönigin. Vergessen ist die angebliche weibliche Regierungsschwäche, vergessen ihre illegitime Abkunft. Sogar die meisten katholischen Engländer stehen nun hinter ihrer Königin.

Die Verdüsterung der späten Jahre

Die Königin hat das Land zu wahrer Grösse geführt, so sieht man es jetzt. Ihr Image nach dem Sieg über Spanien blendet und funkelt, so sehr, dass es die verbleibenden Jahre zu überstrahlen vermag. Die nämlich geraten eher düster. Der Krieg mit Spanien ist nach dem Sieg über die Armada noch lange nicht vorbei, drei Expeditionen gegen die verfeindete Weltmacht verschlingen Unsummen, die Angst vor einer Invasion steigt wieder, als 1595 spanische Schiffe Fischerdörfer in Cornwall angreifen. Missernten drücken auf die Stimmung im Land, Aufstände in Irland lässt Elizabeth rücksichtslos niederschlagen, die puritanische Kritik an ihrer Religionspolitik versucht sie, mit brutalen Mitteln der Inquisition einzudämmen.
Auch ihr Vertrauen in ihren Hofstaat bröckelt: Wichtige Weggefährten wie William Cecil, Francis Walsingham und Robert Dudley sterben, neue Hofleute erweisen sich als unzuverlässig, wie Robert Devereux, der Earl of Essex, der nach einer Verschwörung gegen die Königin hingerichtet wird. Und auch mit den Parlamenten streitet sie zunehmend um Kompetenzen. Die Macht im Land verschiebt sich von den lokalen Adligen hin zur königlichen Zentralverwaltung, die jetzt auch in den Distrikten des Landes enorm ausgebaut wird.
Die Königin versucht mit aller Härte, die Kontrolle über ihr Bild zu behalten. Ihre Spionage- und Propagandaagenten halten Kritik und Subversion klein und verfolgen jede Diskussion um die Nachfolge als Hochverrat. 1596 ordnet Elizabeth an, alle unziemlichen Porträts – also alle, die ihr reales Alter von inzwischen 63 Jahren zeigen – zu vernichten.

Dieser Artikel ist erschienen in MAG 98, Februar 2023.
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Ich sage es mal so

Stumme Antworten auf grundsätzliche Fragen – mit Anna Goryachova, die die Sara in Donizettis «Roberto Devereux» singt

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