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Galakonzert Edita Gruberova

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Kurzgefasst

Galakonzert Edita Gruberova

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Galakonzert Edita Gruberova


Porträt


Bravour und Gefühlstiefe

1968 stand Edita Gruberova zum ersten Mal auf einer Opernbühne. 50 Jahre später blickt sie zurück auf eine Weltkarriere, in der Zürich immer ein zentraler Ort war. Wir erinnern an die wichtigsten künstlerischen Stationen der Jahrhundert-Sopranistin, der das Opernhaus am 18. Februar mit einem Galakonzert die Ehre erweist.

Da fliegen die Töne, von einem seidenen Teppich getragen, los, umkreisen den Erdball und kommen um tausend zauberhafte Köstlichkeiten bereichert sogleich zurück.» Weiter ist von «zuckersüssem Kantilenenspiel, waghalsigen Trillerketten und tobenden Koloraturen» zu lesen. Und von «Tränen, die bittersüss aus verliebten Augen rinnen». Dass gestandene Musikkritiker derart ins Schwärmen geraten, kommt nicht allzu oft vor. Wenn allerdings eine Operndiva (die diese Bezeichnung für sich strikt ablehnt!) auf der Bühne oder auf dem Konzertpodium steht, darf sich journalistische Eloquenz schon mal zu solch poetisierendem Überschwang versteigen. Ausgelöst hat diese enthusiastischen Zeilen eine Künstlerin, die in diesen Tagen auf eine fünfzigjährige bruchlose Bühnenkarriere zurückblicken darf: Edita Gruberova, 1946 geboren, debütierte am 18. Februar 1968 als Rosina in Gioachino Rossinis Barbiere im Nationaltheater ihrer Heimatstadt Bratislava. «Mit souverän gemeistertem Gesangspart und kultiviertem Vortrag gewann sie das Publikum», lobte danach das Feuilleton des Lokalblatts.

Souveräne Technik gepaart mit erlesener Gesangskultur – das sind Eigenschaften, die sich als roter Faden durch die singuläre Laufbahn der Primadonna ziehen. Eine Laufbahn, die sie selbst schlicht als Ergebnis von Talent, Disziplin und harter Arbeit bezeichnet. Entscheidend war gewiss auch die Tatsache, dass sie ihr Repertoire mit Bedacht und Rücksicht auf ihr Stimmtimbre aufgebaut hat. Dazu sagt sie einmal in einem Interview: «Ich hatte schon sehr früh komische Angebote von namhaften Dirigenten, die mir die Aida, die Frau ohne Schatten oder Salome andrehen wollten. Darüber konnte ich eigentlich nur lachen, weil diese Partien nicht meiner Stimme entsprechen und es auch nie tun werden. Trotz der Verlockung, solche Partien zu singen, muss man widerstehen.»

Ein weiterer entscheidender Faktor, betont sie, sei die Gabe, sich immer wieder Phasen der Erholung und – besonders als junge Sängerin – Phasen der Entwicklung zu gönnen. Dem kann man mit Blick auf das Tempo im heutigen Kulturbetrieb und die diversen Karriereeinbrüche jüngerer Kollegen nur beipflichten. Schliesslich nennt sie, die durchaus bodenständige Realistin, auch noch «Glück» und meint damit das Unvorhersehbare, Nicht-Planbare – etwa die wegweisende Begegnung mit Menschen, die ihre Karriere befördert haben. Zum Beispiel jener musische Pfarrer, der sie schon als Halbwüchsige zum Eintritt ins Konservatorium ermutigte und darauf vorbereitete. Oder später, nach der gemeinsamen Flucht mit ihrem ersten Ehemann und der Mutter nach Wien, Ruthilde Boesch, eine der renommiertesten Gesangspädagoginnen Österreichs. Mit ihr arbeitete, feilte und polierte sie unter anderem jene Rolle, die sie ein Bühnenleben lang begleiten sollte und die sie an allen grossen Häusern sang: die Zerbinetta in Ariadne auf Naxos von Richard Strauss. 1993 gab sie diese Partie – in schwarzer Mireille-Mathieu-Perücke! – unter Rafael Frühbeck de Burgos in Zürich in der leichtfüssigen Regie von Cesare Lievi. 2009 verabschiedete sie sich in Wien von dieser Rolle, nachdem sie sich in über zweihundert Vorstellungen mit fast mikroskopischer Auslotung jede Note, jede Silbe mit Bravour, Koketterie, Humor, Selbstironie und, ja, auch emotionalem Tiefgang zu eigen gemacht hatte.

Eine weitere Lebensrolle, erstmals 1977 an der Met und in Folge ebenfalls über zweihundert Mal verkörpert, ist diejenige der sternflammenden Königin in Mozarts Zauberflöte. Eine Partie, der sie im Laufe der Jahre – neben makellosen Koloraturen und mühelosen hohen Fs – immer mehr Zwischentönen und Klangnuancen hinzufügte, um hinter der furiosen Attacke auch den Schmerz und die Verzweiflung erahnen zu lassen. Überhaupt Mozart: Das ABC und die Pflichtnahrung für Sänger sei er, ist sie überzeugt. Besonders in der ersten Periode ihrer Karriere sind Mozarts Frauenrollen zentral. Davon hat sie viele auf der Bühne, einige ausschliesslich auf Tonträger und nur gerade zwei zwar studiert, aber nie auf der Bühne gesungen: Susanna und Blondchen, erstere aus Gründen des lyrischen Stimmcharakters. Letztere hätte sie gern gesungen – vielleicht kam da einfach die juvenile Ambition auf die Konstanze in die Quere, oder die Entscheidung der damaligen Intendanten. 1978 erschloss sie sich an der Wiener Staatsoper die Welt des Belcanto, und zwar gleich mit einer der Paraderollen: Lucia di Lammermoor von Gaetano Donizetti, die sie dreimal auf Tonträger aufnahm. Hatte die extrovertierte Zerbinetta offenbar Gruberovas komödiantische, zirzensische Ader getroffen, so schien nun die tragische Heldin, die von ihrem Bruder zwangsverheiratet wird und in geistiger Umnachtung noch in der Brautnacht den ungeliebten Bräutigam ersticht, eine verletzliche, melancholische Saite der Künstlerin zum Schwingen zu bringen. 1989 gab sie diese Partie unter Ralf Weikert erstmals in Zürich, nachdem sie das hiesige Publikum ein Jahr zuvor mit der jugendlich-kessen Regimentstochter Marie begeistert hatte. Für Robert Carsens Inszenierung des schottischen Schauerdramas hatte Richard Hudson eine sinistre Bühne gebaut: dem römischen Pantheon nachempfundene kassettierte Wände, grau und bedrohlich schief. Mittlerweile auf dem Zenit ihrer Kunst, gestaltete «La Gruberova» die im Wortsinn Wahnsinns-Partie mit einer darstellerischen Wahrhaftigkeit und Zerbrechlichkeit, die die atemberaubende Perfektion ihrer Gesangstechnik glatt vergessen liessen. Mit subtil kalkulierter Farbnuancierung und Tongebung lotete sie die emotionalen Grenzbereiche aus, und als Lucia endlich entseelt zu Boden sank und der Chor die bluttriefende Rechte – alle mitschuldig an der Tragödie – in die Höhe reckte, gelang eines jener suggestiven Operntableaus, die unvergessen bleiben.

Trotz des Erfolgs in Wien blieben anfänglich die erhofften Belcanto-Anfragen aus. Dafür fiel in jene Zeit die erste Zusammenarbeit mit Jean-Pierre Ponnelle. Einen Markstein bildete dessen Zauberflöte in Salzburg (1978), auf die Mozarts Lucio Silla in Zürich mit Nikolaus Harnoncourt folgte (1981). Sowohl in Ponnelle als auch in Harnoncourt traf sie auf geistige Verwandte – Künstler, die szenisch wie musikalisch detailbesessen arbeiten, die Tiefenschichten der Werke erforschen, Unterschwelliges ausloten, aber stets den Gestus der Musik respektieren. In Genf 1982 erfolgte mit Amina in Bellinis Sonnambula die zweite Belcanto-Partie, eine äusserst schwierige Produktion, die sie nach der zweiten Vorstellung frustriert verliess. Eine Inszenierung von Verdis Rigoletto (Florenz, 1985) in der Regie von Juri Ljubimow, in der sie Gildas Sterbe-Arie schwankend auf einer Schaukel singen musste, wurde gar zum Regieskandal, dem einzigen ihrer Karriere. Solche der Musik zuwiderlaufende Regieflausen sind der Sopranistin ein Gräuel, die sich andererseits unerwartet offen zeigt, wenn sich ihr eine Idee als sinnstiftend erschliesst.

Uneitle Aufgeschlossenheit im Dienste des künstlerischen Ausdrucks bewies sie beispielsweise in einer weiteren Rolle, die neue darstellerische Facetten offenbarte: Um die Jahrhundertwende zeigte das Opernhaus Zürich eine Serie von Belcanto-Opern mit der Gruberova, darunter Donizettis Roberto Devereux. Regie führte Giancarlo del Monaco, der das Werk 1990, ebenfalls mit der Gruberova als Elisabetta, im Teatro Liceu herausgebracht hatte. In der Schlussszene, nachdem die verbitterte Tudor-Königin den geliebten Vasallen an eine jüngere Rivalen verloren hat, unterzeichnet sie blutenden Herzens dessen Todesurteil. In Barcelona wie in Zürich nahm sich Elisabeth, gepanzert im prachtvollen Staatsornat, die rote Perücke vom Kopf, den nur noch ein paar schüttere weisse Strähnen überzogen: eine glatzköpfige Monarchin, die auch als Frau und Geliebte abdankt – wiederum ein bestürzendes Bild, das sich tief ins kollektive Operngedächtnis einbrannte.

2013 kam Edita Gruberova nach zehnjähriger Abstinenz erneut nach Zürich in einem Rollendebüt, zu dem sie der Regisseur Christof Loy, mit dem sie offenbar ein tiefes künstlerisches Vertrauen verbindet, regelrecht hatte überreden müssen. Ihre Fans, die sie liebevoll «Grubi» nennen, jubeln. Auch die Kritik überschlägt sich: Zum Schluss entpuppt sich Donizettis Straniera als Königin, geschmückt «mit den tollsten Klunkern. Zu Recht! Kein Brillant ist zu teuer, um sich um Ihren Hals, um diese Stimmbänder zu legen», schrieb der eingangs erwähnte Kritiker.

Wir sagen es schlichter: Herzlichen Glückwunsch zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, Edita Gruberova!


Text von Bruno Rauch, Musikjournalist in Zürich. Er hat Edita Gruberovas Bühnenkarriere über viele Jahrzehnte hinweg journalistisch begleitet.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 55, Januar 2018
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