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Otello

Dramma lirico in vier Akten von Giuseppe Verdi (1813-1901)
Libretto von Arrigo Boito nach der Tragödie «Othello» von William Shakespeare

In italienischer Sprache mit deutscher und englischer Übertitelung. Dauer 3 Std. 05 Min. inkl. Pause nach dem 2. Aufzug nach ca. 1 Std. 15 Min. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.

Gut zu wissen

Fotogalerie

 

Szenenbilder «Otello»


Die geniale Stelle


Wie beginnen?

Ein Akkord in Giuseppe Verdis «Otello».

Peter Hacks hat einmal seinen Dramatikerkollegen einen guten Rat gegeben: «Wenn Sie ein Theaterstück schreiben, tun Sie nie eine unverzichtbare Information in den ersten Stücksatz, sie wird wahrscheinlich nicht gehört werden.» Diese handwerklich-pragmatische Bemerkung verweist auf ein Problem, mit dem sich jeder Dramatiker konfrontiert sieht: «Wie soll es losgehen?» Laut Aristoteles darf der Anfang des Dramas beim Zuschauer keine Kenntnisse voraussetzen. Andererseits muss das Stück die Zuschauer aus ihrem Alltagsbewusstsein, mit dem sie eben noch Platz genommen haben, in seine Phantasiewelt ziehen und dort festhalten. Das wird nur selten gelingen, wenn es mit einer minutiösen Darlegung von schon vergangenen Geschehnissen, verwandtschaftlichen, politischen und geographischen Verhältnissen usw. aufwartet, denn wer ins Theater geht, will Theater sehen, nicht lange Erzählungen hören. Nun sind zu allen Zeiten Stücke entstanden, deren Autoren überzeugende Lösungen für dieses Problem gefunden haben. Aber die Zahl der Dramen, die schon in den ersten Minuten daran gescheitert sind, dürfte um ein Vielfaches grösser sein, allerdings fielen sie sofort der Vergessenheit anheim und sind seitdem nur noch Spezialisten bekannt, die der Langeweile aus professionellen Gründen nicht ausweichen können.

In den Jahrhunderten der europäischen Theatergeschichte hat es viele verschiedene Lösungen für das Problem des Anfangs gegeben, aber unter ihnen allen ragt eine als ganz besonders kraftvoll, plastisch und theaterwirksam hervor: Das Orchester (verstärkt durch Orgel und Donnermaschine) spielt ohne Vorbereitung einen grell dissonanten Akkord, gleichzeitig wird der Blick auf die Bühne frei. Das ist ein überraschender, ja schockierender Opernanfang. Schockierend ist das Fehlen einer Ouvertüre und der üblicherweise folgenden – eher dekorativen – Chorintroduktion, schockierend ist der Ruck, mit dem die Zuschauer in das Geschehen hineingerissen werden, schockierend ist nicht zuletzt die Lautstärke, dieses Anfangs, der auch als die Explosion gehört werden kann, mit der Shakespeares Tragödie die traditionelle Opernform sprengt. So erfüllt dieser erste Akkord in Verbindung mit dem Aufgehen des Vorhangs, der den Blick auf den sturmgepeitschten Hafen freigibt, in nahezu idealer Weise alle Forderungen an einen starken Stückbeginn: Der Zuschauer ist sofort gespannt auf das, was nun folgen soll, sozusagen auf der Stuhlkante sitzend verfolgt er das Geschehen, über dessen düsteren Charakter er sich sofort im Klaren ist, obwohl keine unverzichtbaren Informationen in den ersten Satz gelegt sind. Tatsächlich folgen zunächst nur abgerissene Satzfetzen, aus denen sich erst nach und nach etwas entnehmen lässt: Ein Sturm – ein Schiff in Seenot – darauf ein siegreicher Feldherr – das Schiff im sicheren Hafen – der Held tritt auf – er ist schwarz. Noch sind keine Einzelheiten über die Vorgeschichte oder die Figurenkonstellationen bekannt, aber schon weiss man, dass eine grausige Geschichte folgen wird, deren Schrecken irgendwie mit der Hautfarbe des Helden zusammenhängen.

Natürlich lassen sich immer wieder Stimmen hören, die diesen Einstieg auf Grund trockener ästhetischer Theorien als banal oder effekthascherisch denunzieren. Aber das lebendige Erlebnis im Opernhaus wischt solche Mäkelei einfach vom Tisch. Gerade in der Einfachheit, mit der hier das komplexe Problem des Dramenbeginns gelöst wird, als wäre nichts leichter als das, erweist sich Verdi als genialer Theatermann, der am Ende seiner langen Laufbahn virtuos mit den Strukturen zu spielen versteht.


Text von Werner Hintze.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 45, Januar 2017.
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Audio-Einführung

  1. Audio-Einführung zu «Otello»
    Unser Dramaturg Michael Küster gibt einen Einblick in die Oper «Otello». Live-Einführungen finden jeweils 45 Minuten vor der Vorstellung im Opernhaus statt.

Programmbuch

Otello

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Synopsis

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