0/0

Salome

Musikdrama in einem Aufzug von Richard Strauss (1864-1949)
nach Oscar Wildes gleichnamiger Dichtung

In deutscher Sprache mit deutscher und englischer Übertitelung. Dauer 1 Std. 40 Min. Keine Pause. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.

Termine & Tickets

Mai 2025

Do

29

Mai
14.00

Salome

Oper von Richard Strauss
Preise H
AMAG Volksvorstellung

Juni 2025

So

01

Jun
14.00

Salome

Oper von Richard Strauss
Preise E
Sonntag-Abo A

Sa

07

Jun
19.00

Salome

Oper von Richard Strauss
Preise E

Do

12

Jun
19.00

Salome

Oper von Richard Strauss
Preise E
Misch-Abo B

So

15

Jun
20.00

Salome

Oper von Richard Strauss
Preise E

Gut zu wissen

Am 29. Juni 2024 beginnt der offizielle Kartenverkauf für die Spielzeit 24/25. Freund:innen, Abonent:innen und Aktionär:innen können ihr Vorkaufsrecht bereits eine Woche früher nutzen. Weitere Infos hier

Trailer «Salome»

Pressestimmen

«Was man hier erlebte, war grosse Oper, wie es sich gehört, wie man sie vermisst hatte.»
Tagesanzeiger, 13.09.2021

«Die Zürcher Salome ist eine musikalische Sensation, mit der man Strauss´ meisterhafte Partitur neu hören kann. Die Inszenierung sollte sich kein Opernliebhaber entgehen lassen.»
SWR 2, 13.09.2021

«Andreas Homoki’s beautifully-paced, sensible direction was highly compelling. The musical performances were no less spectacular. (…) Salome sang to perfection what many consider the most impossible of vocal roles.»
bachtrack.com, 14.09.2021


Gespräch


Verdorbene Früchte

Die Oper «Salome» von Richard Strauss bietet hundert Minuten packendes Musiktheater an der Schwelle zur musikalischen Moderne. Sie handelt vom zerstörerischen sexuellen Begehren einer jungen Frau und dem Untergang einer dekadenten Welt. Ein Gespräch vor der Premiere mit dem Regisseur Andreas Homoki

Andreas, der Komponist Richard Strauss bedeutet dir viel, du hast viele seiner Opern inszeniert. Jetzt bringst du Salome auf die Bühne. Ist das für dich nochmal eine neue Strauss-Erfahrung?
Eher eine inspirierende Wiederbegegnung. Als ich zu Hause am Modell sass, die Musik hörte und in das Stück eingetaucht bin, habe ich beispielsweise viele musikalische Motive, Farben oder harmonische Wendungen wahrgenommen, die ich aus den später entstandenen Opern zu kennen glaubte.

Du meinst, Strauss hat in Salome bei seinen späteren Opern abgeschrieben?
So ungefähr. Nein, man spürt, dass Salome eine Art Nukleus der musikdramatischen Sprache von Strauss bildet. Was hier angelegt ist, baut er in seinen folgenden Opern aus, erweitert, reichert an, entwickelt es in verschiedenste Richtungen. In Elektra, die unmittelbar auf Salome folgt, treibt er den Ausdruck ins Martialische, ins expressive Stahlgewitter. Im dann folgenden Rosenkavalier etabliert er die Gegenfarbe, das Komödiantische und Schwebende. In der Frau ohne Schatten wiederum steigert und verdichtet er noch einmal die orchestrale Komplexität. Und in Salome ist vieles davon schon zu spüren, wenn ich etwa an die Rosenkavalier- Nähe der Walzerklänge denke.

Es heisst, Strauss habe in Salome die Einflüsse von Richard Wagner beim Opernschreiben endgültig hinter sich gelassen.
Das wird gerne so gesagt. Natürlich, er ist ein deutscher Komponist und steht in dieser Tradition. Aber ich weiss gar nicht, ob das wirklich eine wichtige Bezugsgrösse ist. Wagners Musikdramen dienen viel mehr dem Theater, sind in ihrer Leitmotivik einfacher und enger angebunden an den Text. Ich spüre in Salome viel eher die enorme orchestrale Kraft der sinfonischen Dichtungen von Strauss. Aus ihnen geht der Orchesterklang hervor, erfährt Komplexität in einer sinfonischen Struktur, wird ständig neu psychologisch gefärbt und behauptet mehr Eigenständigkeit gegenüber dem theatralischen Geschehen.

Warum nimmt Salome seit der Uraufführung im Jahr 1905 einen so zentralen Platz in unserem Opernrepertoire ein?
Genau deswegen. Und weil die Oper unglaublich kompakt ist. Hundert Minuten ohne Pause. Eine packende Handlung. Ein aufregendes Kolorit. Tolle kontrastreiche Figuren. Da stimmt alles.

Warum, glaubst du, hat sich Richard Strauss ausgerechnet das skandalumwitterte Drama von Oscar Wilde für seine dritte Oper ausgesucht?
Er wollte als Opernkomponist nach seinen Einstiegswerken Guntram und Feuersnot mit etwas Neuem auftrumpfen und Aufsehen erregen. Da kam ihm das in England verbotene Theaterstück von Wilde gerade recht. Wir können uns heute gar nicht mehr vorstellen, wie skandalös damals der Wilde-Stoff von der strengen viktorianischen Gesellschaft empfunden wurde. Ein Stoff, in dem eine sexuell begehrende junge Frau den abgeschlagenen Kopf eines Toten küsst.

Oscar Wilde und Richard Strauss passen doch eigentlich gar nicht zusammen – hier der Aussenseiter, dort der Erfolgskomponist, hier der homosexuelle Exzentriker, dort der bürgerliche Skatspieler.
Ja, ja, der Skatspieler. Vorsicht, kann ich da nur sagen. Man neigt dazu, Strauss intellektuell zu unterschätzen. Er trumpft nicht auf mit Intellektualität, aber war sehr wohl ein kluger, weitblickender, extrem cleverer Künstler. Und seine Empfindsamkeit ist enorm. Ich kenne keine emotionalere Opernmusik als die von Strauss.

Aber im Vergleich zu Wilde war Strauss sehr angepasst an den Musikbetrieb, an sein gesellschaftliches Umfeld. Hat bei der Wahl des skandalösen Stoffs Salome 21 womöglich auch Erfolgskalkül eine Rolle gespielt?
Kalkül war da ganz bestimmt im Spiel. Strauss war 40 Jahre alt, als er Salome schrieb. Er war ein weltberühmter Dirigent, hat an den grossen Theatern dirigiert, beherrschte sein Metier – der wusste genau, wie der Betrieb funktioniert. Seine ersten beiden Opern waren noch nicht der Durchbruch. Dann hat er sich den Salome­Stoff genommen und im vollen Bewusstsein seiner Fähigkeiten das ganz starke Ding hingesetzt.

Die Qualität von Wildes Sprache war gewiss auch ein wichtiger Aspekt bei der Stoffwahl.
Klar. Strauss hatte ein unglaubliches Gespür für das Wort. Sein Opernkomponieren ist sehr von Sprache getrieben. Am extremsten vielleicht im Rosenkavalier, in dem man immerzu das Gefühl hat, dass die Partitur durchkomponierte Schauspielsprache ist. Jede Äusserung wird musikalisch-gestisch artikuliert. Strauss hatte beim Komponieren hochpräzise Vorstellungen von der Emotionalität der Charaktere und war souverän in der Lage, sie musikalisch zu gestalten.

Das lieben Regisseure natürlich an Strauss.
Ja. Fantastisch. Ich finde auch die Freiheit toll, die man bei Strauss hat. Die Musik lässt Raum für Szenisches. Auch in Salome öffnen sich immer wieder Momente, in denen gar nicht gesprochen wird. Da kann man als Regisseur erzählen, weil auch die Musik in ihren Ausbrüchen, Kontrasten, Beschleunigungen und Verlangsamungen so viel erzählt. Strauss hat eine Grosszügigkeit in der dramatischen Anlage und im musikalischen Denken, die ich einzigartig finde.

An der Salome-Figur haben sich seit ihrem ersten Auftauchen in der Bibel mannigfache Fantasien entzündet. Wer ist diese Salome für dich?
Eine sehr starke, junge Frau, die wir in einem Moment erleben, indem sie sich von der Welt, in die sie hineingeboren wurde, emanzipiert – von der Beziehung zu ihrer Mutter Herodias, von den Zudringlichkeiten ihres Stiefvaters Herodes und von der Enge und den dekadenten Verhältnissen im Königspalast. Salome scheint abgeschottet zu sein von dem, was draussen in der Welt vor sich geht. Mir kommt der Palast wie ein selbstgeschaffenes Gefängnis vor, in das sich die Königsfamilie mit ihrem Hofstaat zurückgezogen hat, weil draussen schon die Stürme einer neuen Zeit toben. Nur im Palast gibt es noch auskömmliche Verhältnisse und ein dekadent luxuriöses Leben. Salome ist darin durchaus die verwöhnte, arrogante Prinzessin, aber sie spürt, dass diese Welt nicht in Ordnung ist, dass etwas fehlt. Sie ist in einem Reifegrad ihrer persönlichen Entwicklung angekommen, in dem sie sich eingeengt fühlt und nach neuen Erfahrungen giert. Genau in dem Moment trifft sie auf den Propheten Jochanaan, der als die personifizierte Bedrohung der Herodes-Welt auftritt, der die Königsfamilie für ihren Lebenswandel beschimpft, deren Untergang prophezeit und eine neue Zeit ankündigt. In dieser Begegnung erkennt Salome fast schockartig, dass es noch etwas anderes gibt, ein anderes Denken und Sprechen, eine andere Weltanschauung und eine erotische Energie, die für sie völlig neu ist. Jochanaan ist ein brachialer Fundamentalist, aber auch ein Typ mit grossem Charisma und unglaublicher männlicher Verführungskraft. Den will sie anfassen, den muss sie haben. Jochanaan wiederum fühlt sich ebenfalls stark von Salome angezogen. Er kann das nur nicht zulassen, weil er der Prophet ist. Salome ist hochbegabt in erotischen Dingen: Sie spürt genau, was in Jochanaan vorgeht und wie er gegen ihre verführerische Kraft ankämpft. Sie versucht, ihn aus seiner Abwehrhaltung zu locken. Stufe für Stufe steigert sich die ambivalente Leidenschaft der beiden, die ich auch so auf der Bühne zeigen möchte. Jochanaan kann sich schliesslich nur mit allerletzter, geradezu übermenschlicher Kraft von ihr losreissen. Sein «Sei verflucht!»-Ausbruch kommt mir vor wie ein Wegrennen vor der Macht der eigenen Gefühle, wie eine Selbstverfluchung. Das ist schon eine irre Szene, die Strauss da komponiert hat – eine sich ständig steigernde Auseinandersetzung von fünfzwanzig Minuten, in der sich zwei Menschen in ihre Leidenschaften verkeilen.

Und dann kommt Salome mit dieser alle Grenzen überschreitenden Forderung, den Kopf von Jochanaan zu wollen. Warum verlangt sie das?
Ich weiss es nicht. Ich nehme es als Regisseur zur Kenntnis. Es ist schon klar: In der Herodes-Welt geht es grausam zu, da braucht man keine Gründe, um Köpfe rollen zu lassen. Mordbefehle werden mit einem Achselzucken erteilt. Aber das wäre eine eher schwache Erklärung für Salomes ungeheuerliche Forderung. Sie ist halt besessen davon, diesen Mund küssen zu wollen, und sie wird zurückgewiesen. Da kommt dann das trotzige Kind in ihr zum Vorschein, das sonst immer kriegt, was es will. Aber ich finde, man sollte das gar nicht zu erklären versuchen. In der Kunst ist ja gerade das Unbegründbare besonders stark. Wir werden vielleicht Näheres wissen, wenn wir es gemacht haben.

Ist der religiöse Eifer Jochanaans mit seiner christlichen Moral, seinen Verfluchungen alles Sündigen und seinen Weltuntergangsvisionen eigentlich glaubhaft? Richard Strauss selbst hat ihn in Frage gestellt, als er in einem Brief meinte, Jochanaan sei ein Hanswurst. Auch Oscar Wilde nennt ihn in seiner kurzen Erzählung Das Mädchen Salome einen Betrüger, der nur vorgibt, der Prophet zu sein.
Mich lässt die Figur manchmal an den russischen Rasputin denken, der zwar als politischer Aufrührer aufgetreten ist, aber in Wirklichkeit vor allem ein Frauenverführer war. Aber man muss die fundamentalistische Energie Jochanaans natürlich schon ernst nehmen. Einen Hanswurst kann man alleine deshalb nicht auf die Bühne bringen, weil Strauss keinen Hanswurst komponiert hat. Die Musik ist ja von grosser Kraft. Vielleicht ist eher der Fliegende Holländer eine Referenz – ein geheimnisumwitterter Typ, der aus einem unbekannten Draussen auftaucht und gefährlich umstürzlerisch und systemgefährdend ist. Im Sinne der bestehenden Verhältnisse müsste man den sofort ausschalten, aber das macht Herodes nicht, weil er Angst hat. Herodes, der zwar neurotisch, aber auch hochsensibel ist, ahnt, dass sein Herrschaftssystem zusammenbrechen wird und radikale Veränderungen unmittelbar bevorstehen. Deshalb traut er sich nicht, Jochanaan beiseite zu schaffen, weil er sich für die Schonung eventuell Vorteile für später verspricht. So lese ich das zumindest.

Salome ist in einer Zeitenwende entstanden, vom 19. ins 20. Jahrhundert. Was heisst das für das Stück?
Man spürt diese Zeitenwende, weil Strauss als Komponist, wie Gustav Mahler auch, ein Bewusstsein für den Epochenumbruch hatte, für die Unsicherheit, die offene Zukunft, die Ahnung, dass die Welt nicht mehr so bleiben wird, und dem gibt er in seinen Opern Raum, in Salome ebenso wie in der katastrophischen Elektra oder dem dann schon die Vergangenheit verklärenden Rosenkavalier.

Wo spielt das Stück in deiner Inszenierung?
Eigentlich ja auf einer Terrasse vor dem Palast. Die Konstellation ist von Oscar Wilde gut gewählt: Es gibt oben den Palast, unten die Zisterne und ein Dazwischen, in dem das Stück spielt. Aber mein Bühnenbildner Hartmut Meyer, mit dem ich jetzt seit 25 Jahren zusammenarbeite, ist keiner, der realistische Räume nachbaut. Was er entworfen hat, ist ein abstrakter Einheitsraum, der eine gewisse Hermetik ausstrahlt, als wäre man unten in der Zisterne. Ist man aber nicht. Es ist mehr eine Art Gehege. Die Figuren im Stück reden immer über den Mond. Deshalb hat Hartmut eine Bühne mit zwei grossen Monden entworfen, einem auf dem Boden und einer über den Köpfen. Die Monde können rotieren, und der Raum eignet sich in seiner Abstraktion auch dazu, psychologische Innenwelten zu erzählen. Es geschehen Dinge darin, die realistisch nicht begründbar, aber in der Musik angelegt sind.

Wie siehst du Salomes berühmten erotischen Schleier-Tanz, den sie für ihren Stiefvater Herodes tanzt, und der als opulentes orchestrales Zwischenspiel angelegt ist? Ich finde ja, dass Strauss darin musikalisch unter seinem Niveau bleibt.
Das finde ich nicht. Ich habe früher auch so gedacht. Mich hat der Tanz sogar richtiggehend gestört, weil er mir wie ein musikalischer Fremdkörper vorkam. Inzwischen nehme ich ihn als eine Art sinfonische Dichtung wahr, in der Strauss mit musikalischem Material, das er bis dahin exponiert hat, eine orientalische Atmosphäre schafft und eine kompositorische Struktur entwickelt, die viel mehr erzählt als nur einen Tanz. Die Musik lässt Raum für Imaginationen, die weit darüber hinausgehen. Es ist doch hochspannend, dass nach zwei Dritteln des Abends und ganz viel Dramatik plötzlich ein Stück sinfonische Musik kommt. Ich finde, dass die Handlung darin weitergeht, aber ohne Worte. Die Musik eröffnet die Chance, die Beziehungen der Figuren untereinander noch einmal unter die Lupe zu nehmen, das Verhältnis von Salome und Herodes natürlich, aber auch von Herodes und Herodias, und sogar das von Herodias und Jochanaan. Das finde ich nämlich sehr interessant: Es ist auffallend, wie die beiden Figuren einander hassen. Es gibt da eine extrem starke Beziehungsspannung zwischen den beiden. Man möchte genauer erfahren, was zwischen den beiden ist oder in der Vergangenheit war, und dem nachzugehen, gibt der Tanz mir Gelegenheit.

Deine musikalische Partnerin ist Simone Young. Was verbindet euch?
Eine sehr lange Zusammenarbeit. Wir kennen uns schon seit 1986 und haben uns künstlerisch immer sehr gut verstanden. Ausserdem verbindet uns natürlich die Begeisterung für die Opern von Richard Strauss.

Simone Young ist eine ausgewiesene Expertin im Strauss-Repertoire. Was schätzt du an ihren Interpretationen?
Sie hat den grossen Orchesterapparat im Griff. Sie hat die handwerklichen Fähigkeiten, den Klang wirklich transparent zu machen, und genau das richtige Gespür für die Agogik, für Dynamik, für dramatische Steigerungen. Und sie überrascht mich immer wieder mit ihren interpretatorischen Ideen.

Wer auf den Besetzungszettel eurer Salome schaut, entdeckt etwas Ungewöhnliches: Die fünf Juden sind bei euch fünfzehn Sänger, jede Judenpartie ist dreifach besetzt. Wie kommt das?
Ich habe in der Partitur eine Fussnote von Richard Strauss entdeckt, die besagt, dass ab einer bestimmten Stelle in der Judenszene die Solostimmen «nach dem Ermessen des Dirigenten durch einige tüchtige Chorsänger» zu verstärken seien. Dieser Fussnote folgen wir. Ich hatte Simone darauf hingewiesen. Sie hatte ihr bisher keine Beachtung geschenkt, fand das aber auch eine sehr gute Idee.

Das Gespräch führte Claus Spahn.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 84, September 2021.
Das MAG können Sie hier abonnieren.


Fotogalerie

 

Fotogalerie


Wie machen Sie das, Herr Bogatu?


Rotierende Honigmelonen

In der Oper «Salome» besingen die Figuren immer wieder den Mond. Deshalb hat der Bühnenbildner Hartmut Meyer für unsere Neuproduktion der Salome einen grossen gelben Mond entworfen.

Es ist eine zehn Meter breite Sichel, die eine schräg gestellte Spielfläche bietet. Sie sieht aus wie das riesige Stück einer Honigmelone oder einer Pampelmuse. Dieser Mond liegt nicht mittig, sondern eher am Rand unserer grossen Bühnen-Drehscheibe und hat einen eigenen Antrieb. Er kann sich also um seinen Mittelpunkt drehen. Da sich die darunter liegende Drehscheibe wiederum um einen anderen Mittelpunkt dreht, ergeben sich viele Rotationsmöglichkeiten und spannende Positionen des Mondes auf der Bühne, was perfekt zu der Inszenierung von Andreas Homoki passt, in der die Figuren in ihren erotischen Begierden und ihrem Hass ebenfalls wie Planeten umeinander kreisen.

Über dem Mond auf dem Bühnenboden schwebt über den Köpfen der Sängerinnen und Sänger als Spiegelbild exakt der gleiche Mond. Auch der kann sich drehen, aber zudem noch auf und abfahren, schwenken und sich neigen. Eingerahmt wird das ganze Bühnenbild von hohen Wänden, die halbkreisförmig um die Drehscheibe herumstehen und die Flucht aus der um sich selbst kreisenden Welt verunmöglichen. So scheint es zumindest. Aber das Schicksal (gesteuert durch unsere Maschinisten und befohlen vom Regisseur) bietet zu bestimmten Zeiten einen Steg an, der gleich einer schmalen Gangway von der Seite ins Bühnenbild klappt und einen Zu- und Abgang zur Mondwelt bietet. Das Schicksal selbst – oder ist es die Zeit? – wiederum wird in Form eines riesigen steinernen Mühlrades sichtbar, das entlang der Rundwand von einer Seite der Bühne auf die andere rollt und sich dabei der Bewegung der Drehscheibe widersetzen kann. Sie merken schon: Hartmut Meyers Bühnenbild lädt bereits bei der technischen Beschreibung zu Fantasieflügen ein. Wie wird es erst mit Musik, Darstellenden, Kostümen und Licht sein?

Fantasievoll ist auch die technische Umsetzung der Bewegungen bei jedem dieser Elemente. Ich konzentriere mich hier aus Platzgründen auf den fliegenden Mond. Der hängt an einer Stange in der Obermaschinerie und kann mit unseren Zügen hoch und runter bewegt werden. Am unteren Ende der Stange ist ein Gelenk, um das er sich in alle Richtungen schwenken lässt. Beim Aufbau hängen wir den Mond so an das Gelenk, dass er von sich aus immer nach hinten unten und nach links unten kippt. Nun können wir mit einem Seil, das hinter dem Gelenk am Mond befestigt ist, das Kippen des Mondes szenisch steuern: Wenn wir das Seil locker lassen, kippt der Mond nach hinten, wenn wir es anziehen, kippt der Mond nach vorne. Das Gleiche machen wir für die seitliche Bewegung mit einem zweiten Seil. Die von der Ober-maschinerie bewegten Seile sieht das Publikum nicht, da diese in der Stange verlegt sind. Dazu kommt (ich überfordere Ihr Vorstellungsvermögen wahrscheinlich bereits jetzt), dass sich der ganze Mond noch drehen können muss. Deswegen haben wir ein Drehlager und einen Motor so eingebaut, dass sich der Mond um die Stange, die Seile und den Schwenkmechanismus herum drehen kann. Im Gegensatz zur Raute bei Hoffmanns Erzählungen, haben wir bei Salome tatsächlich die sprichwörtliche «eierlegende Wollmilchsau» im Schnürboden hängen. Das Bild passt irgendwie zu diesem fantasievollen Bühnenbild, in dem so schreckliche Dinge passieren.

Sebastian Bogatu ist Technischer Direktor am Opernhaus Zürich.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 84, September 2021.
Das MAG können Sie hier abonnieren.


Gespräch


Du sollst sie nicht ansehen!

In Richard Strauss' Fin de Siècle-Werk «Salome» spielen Blicke eine zentrale Rolle – die lüsternen des Herodes, die besitzergreifenden der Salome, die hasserfüllten des Propheten Jochanaan. Ein Gespräch mit dem Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer über die Triebkräfte des Schauens.

Herr Schmidbauer, in Salome geht es ständig um ein lustvolles Schauen-Wollen und Nicht-Schauen-Dürfen. Welche Bedeutung hat das Sehen für die Lust?
Eine sehr grosse. Der Einfluss des Optischen auf die Erotik zeigt sich ja schon in der Vorstellung von der Liebe auf den ersten Blick. Visuelle Reize können eine unwiderstehliche Macht entwickeln, der sich der Mensch nicht zu entziehen vermag. Man kann die Bedeutung des Sehens für das Sexuelle auch ex negativo beschreiben: Das Erblinden ist bei Sigmund Freud ein Symbol der Kastration, belegt durch den Ödipus­Mythos: Ödipus blendet sich in dem Moment, in dem ihm bewusst wird, dass er seine Mutter geheiratet hat.

Also ist das Auge ein Sexualorgan des Menschen?
Vielleicht sogar das Wichtigste. Es ist das Sinnesorgan, das sehr viele Informationen sehr schnell transportieren kann, viel besser als der Gehör­, der Tast­ oder der Geschmackssinn. Man kann das auch am Durchmesser der Nerven ablesen: Der Sehnerv ist bei weitem der dickste. Es ist kein Zufall, dass optische Innovationen in der kulturellen Entwicklung der Menschen immer wieder eine grosse Rolle spielen.

Im Zusammenspiel von Schauen und Lust gibt es erlaubte und unerlaubte Blicke. Herodias verbietet ihrem Gatten Herodes, seine Stieftochter anzusehen. Der Hauptmann Narraboth fleht die Prinzessin Salome an, den Propheten Jochanaan nicht anzusehen. Der Page wiederum beschwört Narraboth, Salome nicht anzusehen, denn «Schreckliches» werde geschehen. Woher rührt die Unterscheidung zwischen erlaubten und unerlaubten Blicken?
Sie ist mit der Ausprägung des Schamgefühls als einem wichtigen kulturellen Entwicklungsschritt des Menschen entstanden. Gerade das Tabu, Frauen nicht nackt sehen zu dürfen, ist ja ein starkes, immer wiederkehrendes Motiv in der Kulturgeschichte. Denken wir etwa an die Geschichte vom Jäger Actaeon aus den Metamorphosen des Ovid, der die Göttin Diana beim Baden beobachtet hat. Er wird von ihr in einen Hirsch verwandelt und von den eigenen Hunden, die ihn nicht mehr erkennen, zerfleischt. Oder nehmen wir den antiken Mythos von Gyges und seinem Ring: König Kandaules ist so stolz auf die Schönheit seiner Frau, dass er sie seinem engen Vertrauten Gyges unbedingt zeigen will. Er fordert ihn auf, sie mit Hilfe eines unsichtbar machenden Rings im Schlafgemach nackt zu beobachten. Als die Königin herausfindet, dass ein Fremder in ihre Intimität ein gebrochen ist, fordert sie nicht dessen Tod, sondern dass der Eindringling ihren Ehemann tötet. Verbotene Blicke führen zu Strafe, und in allen Geschichten schwingt mit, dass der Mann, der die Frau in ihrer Nacktheit sieht, nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Vernünftige Männer werden unvernünftig und handeln irrational.

In Salome ist der verbotene Blick der des Stiefvaters Herodes, der seine Stieftochter immerzu lüstern ansieht.
Das ist eine zugespitzte Variante des Tabuisierten, wie sie ja auch in pornografischen Filmen beliebt ist. In einer Subspezies geht es dort immer um Stiefverhältnisse: Stiefvater und Stieftochter, Stiefmutter und Stiefsohn haben Sex.

Worin liegt die Attraktion dieses Modells?
Das ist doch klar: In der Faszination des Inzestuösen, in der Konstruktion, das Inzestuöse ausleben zu können, ohne dass das Inzest­Tabu wirklich gebrochen wird. Ein Modell sozusagen, in dem das Unmögliche möglich wird. Und die ödipalen Energien gibt es ja: Viele Väter kriegen Konflikte mit ihren Töchtern, wenn diese in die Pubertät kommen. Dann werden sie streng und machen den Töchtern Szenen, wenn die ausgehen und andere Männer kennenlernen wollen. Die Väter streiten natürlich ab, dass sie erotische Absichten haben, aber die Eifersucht auf die jungen Männer, die die Tochter verführen könnten, spricht eben doch dafür, dass inzestuöse Motive wirken.

Salome kommt den Fantasien des Herodes entgegen, indem sie für ihn tanzt. Liegt die Unmoral in solchen Konstellationen auf Seiten des Schauenden oder auch auf der Seite des sich Zeigenden?
Ich würde sagen, dass der Exhibitionismus mindestens so alt ist wie der Voyeurismus, und denke, dass das Exhibitionistische das Primäre ist, denn jeder Mensch will Aufmerksamkeit. Der Wunsch, von den Mitmenschen wahrgenommen zu werden, ist ein uralter und sehr universeller und zunächst einmal nicht sexualisiert. Aber natürlich umfasst das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit auch das Sexuelle, und das Zeigen erotischer Reize kann, wie wir wissen, die Quelle von vielen Missverständnissen sein, denn eine junge Frau etwa, die sich «aufreizend» anzieht, will nicht unbedingt, dass ein Betrachter mit Avancen und womöglich gar Berührungen darauf reagiert.

Wie interpretieren Sie Salomes Tanz der sieben Schleier?
Salome ist sehr jung. Sie legt ihre ganze Sehnsucht nach einer Liebesbeziehung in diesen Tanz, und diese Sehnsucht ist noch nicht durch reale Erfahrungen getrübt. Sie ist ideal. Es gibt im Marionettentheater von Heinrich von Kleist die Szene vom jungen Mann, der noch unschuldig ist und dessen Bewegungen gerade deshalb von unnachahmlicher Grazie sind. In dem Moment, in dem er sich seiner selbst bewusst wird, verliert er die Grazie. Vielleicht ist das bei Salomes Tanz ähnlich: Der Zauber des Tanzes basiert auf seiner Nähe zur absoluten, idealen Erotik. Salome will die Macht ihrer erotischen Attraktivität auskosten, aber ihr Ziel ist keine reale Sexualität, sondern die ideale.

In Salome sieht jeder nur das Bild, das er sich selbst von seinem Gegenüber gemacht hat, und nicht den Menschen, wie er wirklich ist. Ist das nicht etwas, das Ihnen in Ihrer therapeutischen Arbeit oft begegnet?
Ja, klar. Es ist das Prinzip jeder stabilisierenden Arbeit in Beziehungen, die Realität des Gegenübers genauer zu erkennen und unterscheiden zu lernen zwischen eigenen Projektionen und der Realität. Das ist nirgends schwerer als auf dem Feld der Sexualität, wo die Bedürfnisse sehr stark sind, die Selbstkritik überwältigen und ein Entgegenkommen fantasieren. Wenn ich stark begehre, dann muss mein Gegenüber dasselbe wollen wie ich. Darin wurzeln viele Beziehungsprobleme.

Wie würden Sie die Beziehungskonstellation zwischen Salome und Jochanaan, Herodias und Herodes beschreiben?
Es ist durchaus auch ein ödipales Drama. Salome, die Tochter, verliebt sich in den scharfen Kritiker der ehebrecherischen Beziehung ihrer Mutter. Dessen Kritik ist auch ihre. Sie will von ihrer Mutter geliebt werden und diese Liebe nicht teilen, und Jochanaan erweist sich in dieser Hinsicht als ihr Bundesgenosse. Er sagt eine Wahrheit, die auch ihre ist. Deshalb verliebt sie sich in ihn – und es folgt die Rache, wenn diese Liebe von Jochanaan zurückgewiesen wird.

Sie sagen «verliebt». Ist das das richtige Wort?
Verlieben ist ein triebhaftes Geschehen und etwas anderes als Liebe. Salome begehrt Jochanaan, sie will ihn haben. Dementsprechend heftig ist ihre Reaktion auf seine Zurückweisung, auf die Enttäuschung dieses Besitzwunsches. Es hat ja auch etwas Tragisches: Für Herodes, den Mann, an den ihre Mutter gebunden ist, ist sie das unwiderstehliche Objekt, und der Mann, den sie gerne hätte, widersteht ihr. Sie hat Macht über den falschen Mann. Jochanaan ist anders als alles, was sie bisher kennengelernt hat. Er ist der fremde Ritter, der plötzlich in ihrem Leben auftaucht, eine echte Alternative. Und weil Salome jung und radikal ist und Jochanaan nicht haben kann, zerstört sie ihn – und sich selbst. Ausserdem zerstört sie die Beziehung zwischen Herodes und Herodias, denn man kann sich ja nicht vorstellen, dass eine Mutter die Tötung ihrer Tochter einfach hinnimmt.

Zerstört sie sich wirklich? In der Oper kommt der Tod Salomes nicht mehr vor. Das Stück endet mit dem Befehl von Herodes: «Man töte dieses Weib!»
Aber etwas anderes als ihr Ende ist kaum vorstellbar. In der Schauspielvorlage von Oscar Wilde heisst es, sie werde unter den Schilden der Soldaten begraben. Sie wird verdrängt. Das ist ein sehr anschauliches Schlussbild. Sie wird unterdrückt, als ob sie nie gewesen wäre. Der finale Herodes­Befehl steht in der Tradition der christlichen Hexenverfolgung. Die verführerische Frau ist das böse Prinzip, das den Mann vom Weg der Tugend abbringt und deshalb dämonisiert werden muss. Eine starke Frau, die ihre eigenen radikalen Entscheidungen trifft und einen Mann köpfen lässt, löst Potenzängste aus. Sie ist eine gefährliche Frau. Sie muss getötet werden.

Salome, deren Geschichte schon in der Bibel auftaucht, wird im 19. Jahrhundert zum Sinnbild für entfesselte, gefährliche und faszinierende weibliche Lust. Es ist gewiss kein Zufall, dass der homosexuelle Oscar Wilde ausgerechnet um die Jahrhundertwende eine Figur auf die Bühne bringt, die für die gefährliche Macht der Triebe steht, oder?
Nein. Die Figur ist ein typisches Produkt der sexualfeindlichen viktorianischen Zeit, in der Wilde sein Schauspiel geschrieben hat. Verdrängte Sexualität wird im Unbewussten übermächtig. Ihr wächst dämonische Kraft zu. Das Gleiche gilt für die Aggression. Erlebt man aggressive Impulse bewusst, kann man sie steuern und sich mit ihnen versöhnen. Akzeptiert man nicht, dass sie zum Menschenleben gehören und verdrängt sie, dann wachsen sie in den finsteren Verliesen, in die sie geworfen werden, zu Ungeheuern. Freud greift ein Thema christlicher Legenden auf: die an sexualfeindlichen Idealen orientierten Büsser und Bekenner werden besonders intensiv von erotischen Visionen heimgesucht. Der Eremit, der den Gekreuzigten anbetet und alle Gedanken an Sexualität von sich weist, sieht auf einmal eine nackte Frau ans Kreuz geschlagen – das ist ein typisches Bildmotiv des Fin de Siècle.

Wenn Salome Jochanaan betrachtet und beschreibt, gibt es eine starke Ambivalenz zwischen Anziehung und Abstossung. Begierde und Hass – in welchem Verhältnis stehen die zueinander?
Enttäuschte Liebe mündet in Hass. Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich auch kein anderer haben. Für den primitiven Narzissmus gibt es keinen mittleren Weg; das Liebesobjekt wird entweder idealisiert, oder es ist ganz wertlos und hat den Tod verdient. Bei allen sozialen Kreaturen weckt der Artgenosse, der zu nahekommt, Aggression. Diese Aggression wird in einer Liebesbeziehung durch das Begehren und den Wunsch, einander nahe zu sein, neutralisiert. Latent bleibt die Aggression im Hintergrund. Wo Liebe ist, droht immer auch Hass. Es gibt ja diesen Scherz von der Ehefrau, die bei ihrer silbernen Hochzeit gefragt wird, ob sie jemals an Scheidung gedacht habe, und sie sagt: «An Scheidung nie, an Mord oft. » Das ist in diesem Fall ein Scherz, der in der Kriminalstatistik zu Ernst wird: die meisten Tötungsdelikte sind Beziehungstaten. Liebespartner sind füreinander gefährlicher als alle anderen Personen.

Warum will Salome den Mund des abgeschlagenen Kopfes küssen?
Es ist ein letzter verzweifelter Versuch, den Liebesaspekt der Beziehung zum Ausdruck zu bringen. Für mich hat das eine psychotische Qualität: Sie leugnet die Realität, dass sie diesen Mann hat köpfen lassen, indem sie tut, was man eigentlich nur mit Lebenden tut, nämlich den erotischen, lebendigen Akt des Küssens zu vollziehen. Einen Toten zu küssen, kann Abschied bedeuten. In diesem Fall steht es aber für die eigene Todesnähe.

Das Gespräch führte Claus Spahn.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 84, September 2021.
Das MAG können Sie hier abonnieren.


Audio-Einführung

Programmbuch

Salome

Salome