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Vivaldi / Verdi

5. Philharmonisches/2. La Scintilla-Konzert

Musikalische Leitung und Violine Riccardo Minasi
Orchestra La Scintilla

Giuseppe Verdi
I vespri siciliani, Ballettmusik

Antonio Vivaldi
Le quattro stagioni

Dauer 1 Std. 50 Min. inkl. Pause nach dem 1. Teil nach ca. 40 Min. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.

Vergangene Termine

April 2019

So

14

Apr
19.30

Vivaldi / Verdi

5. Philharmonisches/2. La Scintilla-Konzert, Konzert-Abo, La Scintilla-Abo, Barock-Abo

Gut zu wissen

Kurzgefasst

Vivaldi / Verdi

Kurzgefasst

Vivaldi / Verdi


Die geniale Stelle


Der Sturz des Angebers

Eine Stelle in Antonio Vivaldis Violinkonzert «Der Winter»

Wer einmal beim Schlittschuhlaufen gewesen ist, kennt ihn bestimmt: Den König der Eisbahn, den mit den teuersten Schlittschuhen und der schicksten Kleidung, der seine Runden dreht, kleine Pirouetten und gewagte Sprünge einlegt und nur eins zu be­dauern scheint: dass das Eis kein perfekter Spiegel ist, in dem er sich selbst ebenso begeistert bewundern kann, wie er es sich von den anderen Schlittschuhläufern gern gefallen lässt.

Im letzten Satz seines Violinkonzerts mit dem programmatischen Titel Der Winter porträtiert Antonio Vivaldi diesen Typus des schlittschuhbewehrten Angebers, den es mit Sicherheit seit der Erfindung der Schlittschuhe gibt. Lange, weit ausgreifende Linien der Solovioline schildern die möglichst raumgreifend angelegten Bahnen des Schlittschuhläufers. Das Orchester steuert nur einen langen Orgelpunkt bei: Die Umstehenden schauen staunend und vielleicht ein wenig neidisch zu, was der Mann so alles kann. Die Bewunderung spornt den Läufer an: noch ein paar schwungvolle Kreise, einige Trippelschritte, noch eine gewagte Drehung und pardauz… Da liegt er. Der unvermeidliche und von den Zuschauern heimlich mit diebischer Vorfreude erwartete Moment ist gekommen: Ein niederstürzender Lauf des ganzen Orchesters schildert den Sturz des Angebers, der ziemlich unelegant aufs Eis plumpst. Ein paar abgerissene Figuren malen die erfolglosen Versuche, schnell wieder auf die Beine zu kommen, und schliesslich das schadenfrohe Gelächter der Umstehenden. Auch solche Schadenfreude gehört zu den Genüssen des Winters, die Vivaldi in seinem Konzert schildern wollte.

Derartige musikalische Malerei ist durchaus umstritten. So mancher Spezialist rümpft darüber die Nase und erklärt mit erhobenem Zeigefinger, dass es die holde Kunst der Musik entwürdige, wenn sie zur Schilderung banaler Vorgänge des Lebens missbraucht werde. Aber auch der kritischste Kenner wird immer wieder dem Charme erliegen, mit dem Vivaldi in seinen Vier Jahreszeiten kleine und meist witzige Geschichten musikalisch zu erzählen weiss. Und zweifellos liegt gerade hierin der Grund der ungeheuren Popularität dieser Werke.

Aber welchen Sinn hat es, eine so simple Geschichte musikalisch zu erzählen, die, wenn man sie in Worten wiedergibt, eigentlich nicht besonders interessant ist? Warum hört man ihr gern zu, wenn sie im Gewand eines Violinkonzerts daherkommt? Es gibt sicher viele mögliche Erklärungen dafür, aber die beiden wichtigsten Gründe sind wohl, dass es Menschen Freude macht, wenn ihre Phantasie angeregt wird, und dass sie gern Rätsel lösen. Und am beliebtesten sind Rätsel, die zu ihrer Lösung Phantasie erfordern. Das Rätsel, das der Hörer zu lösen hat, ist aus den musikalischen Strukturen das Geschehen zu entnehmen, und das geht nur, wenn er in seiner Phantasie die Bewegungen entstehen lässt, die die Musik evoziert. Vivaldi macht dem Hörer das Vergnügen, in der Musik den eitlen Eisläufer und seine Blamage zu entdecken und dem Hörer ein dankbares Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Und der Hörer dankt ihm mit der Liebe zu dem Werk, das ihm solchen bereichernden Genuss bereitet hat.

P. S.: Wer das der Komposition zugrundeliegende Sonett kennt, weiss, dass es die Geschichte anders erzählt. Es gehört auch zum Reiz solcher musikalischen Erzählungen, dass sie die Phantasie gleichzeitig herausfordern und befreien: Die Musik regt zu ihrer spielerischen Deutung an, und der Hörer mag es geniessen, bei jeder neuen Begegnung andere Geschichten zu entdecken, von denen keine falsch oder etwa die einzig wahre ist.


Text von Werner Hintze.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 67, März 2019.
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Biografie


Riccardo Minasi, Musikalische Leitung und Violine

Riccardo Minasi

Riccardo Minasi wurde in Rom geboren. 2022 wurde er zum Musikdirektor des Teatro Carlo Felice sowie zum Künstlerischen Leiter des Orchestra La Scintilla ernannt, mit dem er bisher Opern wie Don Giovanni und Die Entführung aus dem Serail, das Ballett Monteverdi sowie zahlreiche Konzertprogramme, das Album Mozart mit Juan Diego Flórez und eine CD mit Werken von Vivaldi und Verdi realisiert hat. Von 2012 bis 2015 war er Dirigent des von ihm mitbegründeten Ensembles Il pomo d’oro und von 2016 bis 2022 Chefdirigent des Mozarteumorchesters Salzburg. 2016 war er an vier mit dem Echo Klassik ausgezeichneten Alben beteiligt, darunter Haydn-Konzerte sowie Leonardo Vincis Catone in Utica. Als Sologeiger nahm er u.a. die Rosenkranz-Sonaten von Biber auf. Zuletzt wurden seine Aufnahmen von Joseph Haydns Die sieben letzten Worte Christi am Kreuz und C.P.E. Bachs Cellokonzerten mit Jean-Guihen Queyras bei Harmonia Mundi (beide mit dem Ensemble Resonanz) mit dem Diapason d'Or de l'Année ausgezeichnet. Er stand dem Orchestre Symphonique de Montréal als musikhistorischer Berater zur Seite und gab zusammen mit Maurizio Biondi die kritische Ausgabe von Bellinis Norma bei Bärenreiter heraus. Als Dirigent leitete er u.a. das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das Concertgebouw Orchester, die Staatskapelle Dresden sowie zahlreiche Opernorchester. Jüngst debütierte er mit einem Mozart-Abend bei den Berliner Philharmonikern. Als Solist und Konzertmeister trat er mit dem Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, der Accademia Bizantina, Il Giardino Armonico und Le Concert des Nations auf.

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