Lichtspektakel
zum Zürcher «Ring»

Mit einem audiovisuellen Lichtspektakel feierte das Opernhaus die Entstehung eines neuen Ring des Nibelungen nicht nur auf der Bühne, sondern liess ebenso die gesamte Stadtbevölkerung daran teilhaben. Die je 10-minütigen Lichtshows zum Rheingold, zur Walküre, zu Siegfried und zur Götterdämmerung flimmerten jeweils ein paar Tage vor der dazugehörigen Opernpremiere über die Fassade des Opernhauses.

Mehr zum neuen Zürcher Ring

Lichtspektakel «Das Rheingold»
Lichtspektakel «Die Walküre»
Lichtspektakel «Siegfried»
Lichtspektakel «Götterdämmerung»



Wagner und Kino

Wäre Wagner im 20. Jahrhundert zum Filmemacher geworden? Hätte er im Kino die vollkommene Verwirklichung seiner Vision gesucht? Darüber lässt sich spekulieren. Die erste Kinoaufführung durfte er nicht mehr erleben. Fest steht allerdings, dass seine Idee von einem Gesamtkunstwerk: Orchester, Gesang, Schauspiel, Szenerie, Bewegung und Architektur verbinden sich zu einer einzigen, unteilbaren Vision dem Kino erstaunlich nahe ist.

Als Richard Wagner von 1872 bis 1875 sein Festspielhaus in Bayreuth baute, stand für ihn nicht die Musik im Vordergrund. Er wollte einen Traum verwirklichen, von dem er schon lange besessen war, «einen Raum, der für nichts Anderes berechnet ist, als darin zu schauen».

Mit diesen Worten kann man auch den Kinosaal beschreiben. Wäre Wagner also im 20. Jahrhundert zum Filmemacher geworden? Hätte er im Kino die vollkommene Verwirklichung seiner Vision gesucht? Darüber lässt sich nur spekulieren, denn Wagner starb 1883 – zwölf Jahre vor der ersten Kinovorführung.

Es bleibt allerdings erstaunlich, wie viel Wagner von dem vorweggedacht hat, was später auch das Kino prägen sollte. Was ihn antrieb, war eine visuelle Utopie. Mit dem Bau seines von ihm entworfenen Festspielhauses sollte endlich die Inszenierung von Gesamtkunstwerken möglich sein. Und dafür nahm Wagner zunächst keinerlei Rücksicht auf die Akustik.

Das Gesamtkunstwerk verlangte nach der perfekten Illusion. Das Orchester zu sehen, hätte diese Illusion gestört. Also versenkte Wagner es in einen Orchestergraben, der sich durch Sichtblenden den Blicken des Publikums entzog. Die dadurch entstandene vermeintliche Leere zwischen Zuschauerraum und Bühne nannte er einen «mystischen Abgrund, weil er die Realität von der Idealität zu trennen habe.»

Wagner wollte zwischen dem Zuschauer und dem Bild «nichts deutlich Wahrnehmbares» haben. Er suchte durch die Architektur eine «gleichsam im Schweben gehaltene Entfernung» zum Bild. Sodass dieses Bild wie eine «Traumerscheinung» wirken und sich mit einer aus dem Unsichtbaren «geisterhaft erklingenden Musik» verbinden konnte.

Wenn es nach Wagner geht, wird der Zuschauer «in jenen begeisterten Zustand des Hellsehens versetzt, in welchem das erschaute szenische Bild ihm jetzt zum wahrhaftigen Abbilde des Lebens selbst wird.» Damit lässt sich ebenso treffend der Effekt einer Filmvorführung im Kino beschreiben. Auf der Bühne wie auf der Leinwand entsteht im Idealfall eine Vision, in die wir komplett eintauchen und so die Illusion als neue Realität wahrnehmen.

Das ist also mit Gesamtkunstwerk gemeint: Orchester, Gesang, Schauspiel, Szenerie, Bewegung und Architektur verbinden sich zu einer einzigen, unteilbaren Vision. Der Orchesterklang kommt nicht länger aus dem Orchestergraben und das Schauspiel nicht weiter von der Bühne. Und im Kino verschmelzen die Spuren von Bild und Ton zu dem einen, einzigen Film.

Die Architektur hat dabei nicht bloss die Aufgabe, die Interpreten des Kunstwerks in eben diesem Kunstwerk aufgehen zu lassen. Am Ende soll auch die Architektur selbst verschwinden.
Bei der Eröffnung des Festspielhauses in Bayreuth 1876 geschah das mehr zufällig – aber nachhaltig wirkungsvoll: Weil die Gasbeleuchtung noch nicht vollständig justiert war, konnte das Licht nicht gedimmt werden. Es wurde also auf einen Schlag stockdunkel im Raum. Und ebenso schlagartig war auch die Architektur weg.
Sofort erkannte Wagner das ungeheure Potential vollkommener Dunkelheit. Nun blieb tatsächlich nichts anderes übrig als Schauen. Und nichts anderes als die Idealität im Bühnenraum war zum Schauen da.

Was Wagner damit für die Oper einführte, gilt auch für das Kino: Erst in der Dunkelheit kann sich die Vision ungehindert und vollkommen entfalten. Wenn das gelingt, findet eine geradezu mystische Umkehrung statt: Mit dem Verschwinden von Interpreten und Raum entsteht eine Projektionsfläche, die gleichsam vom schauenden Menschen bespielt wird. Es ist, als ob Bühne oder Leinwand nun das zeigen würde, was sich in unserem Kopf abspielt. Und damit ist dann auch noch die letzte Grenze gefallen, welche das Gesamtkunstwerk als etwas künstlich Gemachtes erscheinen lässt.

Damit sich all das im Kopf der Betrachter ereignen kann, bedarf es allerdings einer höchst komplexen und differenzierten Konstruktionsleistung. Die Musikerinnen und Musiker hören im Orchestergraben etwas ganz anderes als die Zuschauer im Publikumsraum. Die Sängerinnen und Sänger tragen zu einer Vision bei, die sie selbst nicht sehen. Die Regie tut sich schwer damit, in die Haut der ahnungslos Naiven zu schlüpfen. Kurz: Das Gesamtkunstwerk ist unglaublich arbeitsteilig und wird aus unzähligen Bausteinen zusammengefügt. Und auch damit nimmt Wagner etwas vorweg, was den Film prägen wird: die Montage. Sie vollzieht sich im Zusammenspiel aller Beteiligten und im Zusammenfügen aller Elemente.

Thomas Binotto


Making of: Lichtspektakel «Der Ring des Nibelungen»

Im Video erklären Andreas Homoki, Regisseur des Ring-Zyklus, sowie Roman Beranek und Christian Indermaur von der Firma PROJEKTIL AG, wie eine immersive Lichtshow auf dem Opernhaus entsteht.