Lucia di Lammermoor
Dramma tragico in three acts by Gaetano Donizetti (1797-1848)
Libretto by Salvatore Cammarano after the novel «The Bride of Lammermoor» by Sir Walter Scott
In Italian with German and English surtitles. Duration 2 H. 50 Min. incl. intermission after 1st part after approx. 1 H. 25 Min. Introduction 45 min before the performance.
Good to know
Making of
Instead of an introductory matinee, this time we have filmed a «Making of» of our new production «Lucia di Lammermoor» for you: In interviews with conductor Speranza Scappucci, director Tatjana Gürbaca, set and lighting designer Klaus Grünberg and costume designer Silke Willrett you will learn everything about the conception of this new production, and in numerous rehearsal excerpts you can watch the artists at work.
Auf der Couch
In Don Pasquale lässt Donizetti die Liebe durch eine Intrige siegen. Das romantische Paar spielt mit den feudalen Traditionen und setzt sie ausser Kraft. Am Ende darf der vertrottelte Patriarch froh und dankbar sein, den Ansprüchen einer kecken jungen Frau zu entkommen.
Lucia will sich ihrer Liebe hingeben, die sich einer Familienfehde widersetzt. Aber sie kann nicht gewinnen. Ihr Bruder und ihr Lehrer verraten sie. So siegt am Ende die Rache über eine Liebe, die versprochen hatte, sie ausser Kraft zu setzen. Lucia wird im Wahnsinn selbst zur Rachegöttin.
Man könnte behaupten, dass die Begabung zur Rache den Menschen vom Tier unterscheidet. Sie gleicht in diesem Punkt der ebenfalls typisch menschlichen Entscheidung, ein Werkzeug festzuhalten. Menschenaffen lassen den Knüppel wieder fallen, mit dem sie ein Raubtier vertrieben haben. Der Mensch beschliesst, ihn nicht mehr loszulassen, wie er auch die Kränkung nicht mehr loslassen kann – obwohl er doch weiss, dass seine Rache mit dem Feind oft auch ihn selbst zu vernichten droht. Der erniedrigte Sklave träumt davon, seine Schmach «mit Blut abzuwaschen». Der geprügelte Hund ist Realist, er wartet, dass Herrchen wieder den Fressnapf füllt.
Im 19. Jahrhundert beginnt die Aufklärung, das Prinzip der Rache zu reflektieren und auch zu kritisieren. Ein Schlüsseltext ist hier Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas mit der Frage, ob eine so gute Eigenschaft wie der Gerechtigkeitssinn einen bisher tugendhaften Menschen in einen Mordbrenner verwandelt kann. Die bürgerliche Gesetzgebung verbietet das Duell, in dem Beleidigungen gerächt werden, und monopolisiert die Gewalt. Das Thema prägt nun die populären Romane: Prosper Mérimée, Karl May, Alexandre Dumas und Walter Scott variieren es in allen möglichen Gestalten, bevorzugt in den dark and bloody grounds, sei es der Geografie, sei es der Geschichte. Die Blutrache der Clans, vor deren Hintergrund Walter Scott das tragische Schicksal Lucias stellt, ist ein dämonisches Überbleibsel, eine Kulisse des Archaischen, vor der sich im Roman des 19. Jahrhunderts die individualisierte Liebe entfaltet. Lucia hat sich in Edgar verliebt und ihm Treue geschworen. Edgar hat sie aus Todesgefahr errettet, einen wilden Stier erschlagen, der die am Grab der Mutter trauernde Jungfrau angriff. Ihre Liebe ist so innig, so umfassend, dass sich Edgar anstecken lässt und sein Rachewunsch gegen Lucias Bruder verstummt, seinen Erzfeind, der ihm den Vater und den Besitz geraubt hat. Lucia und Edgar schwören sich ewige Treue und tauschen Ringe, als Edgar Lucia für eine politische Mission verlässt, die ihn nach Frankreich führt.
Lucias Bruder Lord Ashton tut nun alles, um seine Schwester gegen Edgar einzunehmen. Er fälscht Briefe, die belegen sollen, dass Edgar in Frankreich eine andere geheiratet hat. Er bedrängt Lucia, ihm durch eine arrangierte Ehe in politischer Gefahr beizustehen, denn er hat auf die falsche Partei gesetzt und muss um seine Güter fürchten. Sie soll Lord Arturo Bucklaw heiraten, einen angesehenen Adeligen, der die Ashton drohende, königliche Ungnade aufheben kann. Lucia steht zwischen ihrem Bruder und der Treue zu ihrem verleumdeten Verlobten. Der Bruder droht, allein ihre Ehe mit Arturo können ihm das Leben retten. Auch ihr vertrauter Lehrer, der fromme Raimondo, rät ihr dringend, sich für die Interessen des Clans zu opfern. Von allen Seiten bedrängt, erklärt sich Lucia endlich nach langem Zögern, tief traurig und verstört zum Treuebruch bereit, den ihr Raimondo schönredet: Was kein Priester gesegnet hat, das gilt auch nicht! Zur Hochzeit erscheint Edgar. Er ist aus Frankreich zurückgekehrt und muss zur Kenntnis nehmen, dass Lucia den Ehevertrag eigenhändig unterschrieben hat.
Während Lucia lange grübelte und immer noch unsicher ist, will Edgar von Aufklärung nichts wissen, fragt nicht nach Gründen, schneidet Lucia das Wort ab, weiss gleich Bescheid. Er hat im Nu das Reich der Empathie wieder verlassen und ist wieder zuhause in Rache und Wut. Er fordert seinen Ring zurück, tritt ihn in den Staub und verflucht Lucias Untreue. Raimondo hindert die rasch wieder von Erzfeindschaft und Blutrache besoffenen Männer mit Mühe daran, sich schon während der Hochzeitsfeier totzuschlagen. Edgar entkommt und bereut den Verrat an der Liebe zu Lucia. Lucia tötet ihren Bräutigam Arturo Bucklaw in der Hochzeitsnacht mit dessen eigenem Schwert. Sie stirbt im Wahnsinn; auf diese Nachricht hin erdolcht sich Edgar.
Liebe siegt über die Rache, Verrat über die Liebe, niemand scheint zu begreifen, was allein Lucia vertritt: Durch Blutvergiessen wird nichts abgewaschen, im Gegenteil. Lucia di Lammermoor ist keine Geschichte für zarte Nerven. Lucias Wahnsinn lässt an den Satz von Lessing (in Emilia Galotti) denken: «Wer über gewisse Dinge seinen Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren.» Das Zitat passt fatal genau, denn auch in Lessings Tragödie geht es um den Widerspruch zwischen korrupter Macht und Empathie. Lucia hat eine Menge Mut und Verstand zu verlieren; in ihrer wilden Tat wird man mit dem heute möglichen, kritischen Blick auf eine von Männern dominierte Welt eine wütende Gerechtigkeit sehen. Arturo ist kein zufälliges Opfer, er steht für die rücksichtslose Machtgier und dumme Kränkbarkeit der beiden anderen Männer, des Bruders und des Geliebten.
Alle drei haben nicht die geringste Ahnung von den Empfindungen der Frau, derer sie sich bemächtigen wollen. Am Ende trifft das Schwert den, an dem Lucia am wenigsten hängt und der ihr mit den ekelhaftesten Gründen auf den Leib rückt. Nur im Wahnsinn kann Lucia klarstellen, wie sehr ihr die blinde Rachsucht und das Intrigenspiel um sie herum auf die Nerven gehen. Als es zu spät ist, begreifen die Männer, was sie angerichtet haben, und es tut ihnen fürchterlich leid. Auch das kommt uns bekannt vor.
Donizetti hat Lucias Wahnsinn eine der schönsten Arien der Operngeschichte gewidmet, in der sich der Zauber ihrer unsterblichen Liebe manifestiert. Die romantische Liebe ist unzerstörbar, weil sie auch noch in ihrer absoluten Niederlage triumphiert.
Text: Wolfgang Schmidbauer, Psychoanalytiker und Buchautor
Illustration: Anita Allemann